Fliegen

Schade. Im Flugzeug stelle ich enttäuscht fest, dass ich einen Platz am Mittelgang erwischt hatte. Gerne hätte ich am Fenster gesessen, um eine gute Sicht zu haben. Aber dort sitzt ein zehnjähriges Mädchen – und ich gönne ihr diesen Platz. Es ist ihr erster Flug. Und sie hat viele Fragen. „Wird es sehr laut beim Start?“ „Wozu bewegen sich die Klappen am Flügel?“ „Wie lang fliegen wir?“ Und so weiter.

Kurz nach dem Start staunt sie, wie schnell die Häuser und Autos winzig klein erscheinen. Auch das Fliegen durch Wolken hindurch fasziniert sie. „Steigen wir immer noch höher?“ Den ganzen Flug über schaut sie aus dem Fenster, stellt Fragen und kommentiert, was sie sieht. Ich kann immer nur einen kleinen Blick erhaschen auf das, was da zu sehen ist: Der Genfer See, die Alpen, die Gletscher, dann das Meer. Mallorca ist zu erkennen, dann das spanische Festland.

Mir gefällt das Staunen und das Fragen des Mädchens. Mir gefällt ihre Neugier. Es geht mir selbst ja nicht anders – nur, dass ich halt weniger von all dem sehen kann. Andere Fluggäste verhalten sich dagegen vollkommen anders. Manche schlafen schon als das Flugzeug noch gar nicht gestartet ist. Erst als die Stewardessen mit Essen und Trinken kommen, erwachen sie, um nach der Mahlzeit gleich wieder die Augen zu schließen. Vielflieger wahrscheinlich, denke ich mir, für die das Fliegen kein Wunder mehr ist. Schade eigentlich. Denn schon das Fliegen an sich ist doch immer noch ein Wunder. Und die Ausblicke sind jedes Staunen wert.

Der französische Schriftsteller Georges Bernanos schreibt: Ich weiß nicht, ob das Leben mich liebt, aber Gott hat mir die Gnade erwiesen, dass ich das Leben liebe. Das Leben, das die Dummköpfe durchrasen, ohne sich Zeit zu nehmen, es anzuschauen, das Leben voller wunderbarer Geheimnisse, die es für alle Menschen bereit hält.

Nun, das mit den Dummköpfen würde ich anders formulieren. Aber die schlafenden Passagiere entdecken zumindest all die Wunder nicht, die der Flug für sie parat hält. Darin ist ihnen das Mädchen voraus.