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Fehlbarer Held

Heute morgen erzähle ich Ihnen von Gideon. Im Alten Testaments ist er ein sogenannter Richter Israels. Ein Mann mit Charisma, der das Volk eint und gegen die Feinde führt. Ein nationaler und religiöser Held. Gideon macht sich besonders um die Bekämpfung des Aberglaubens verdient. Mächtig streitet er gegen die Midianiter und deren Götter, zu denen auch mancher Israelit sich hingezogen fühlt. Immerhin sind die Götzen der Nachbarvölker ja sichtbar, haben Statuen und Orte, wo Menschen sie anbeten. Der wahre Gott aber, der Befreier aus Ägypten, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, ist karg. Kein Bild duldet er von sich. Er fordert Glaube im Alltag.

Gideon also streitet ein Leben lang gegen den Aberglauben. Dann aber kommt, was kommen muss, was in jeder Erzählung kommt, die ein wenig Menschenkenntnis atmet. Im Alter, als Gideon seinen Ruhm genießen soll, wird er schwach. Aus dem Gold, das er in vielen Kriegen erworben hat, lässt ausgerechnet er eine Götzenfigur herstellen. Er, der große Streiter für den reinen bildlosen Glauben, verfällt selbst dem Götzendienst. Das Alte Testament berichtet durchaus kritisch davon. Aber es reduziert Gideon nicht darauf, sondern zeichnet ein umfassenderes Bild. Es erzählt von seinen Stärken und seiner Schwäche, von seinem Ruhm und der Blamage am Ende. Der schwach gewordene Richter Israels behält seinen Platz in der Volksgeschichte.

Ich meine, davon lässt sich etwas lernen. Das Alte Testament zeigt das menschliche Maß. Wie unbarmherzig reagieren wir beispielsweise auf Verfehlungen von Politikern, denen wir doch manches verdanken? Als ob jemand, der einmal Überdurchschnittliches geleistet hat, für immer einem besonderen Maß unterworfen wäre! Statt Verdienste dankbar in Erinnerung zu behalten, lauert die Öffentlichkeit geradezu auf Fehler derer „da oben“. Ein entdeckter Fehler macht zur geächteten Person.

Die Bibel verschweigt bei keiner ihrer großen Gestalten die Fehler. Sie hebt die wichtigen Menschen in der Geschichte des alten Israel so wenig in den Himmel, wie sie es etwa bei Petrus tut, dem engsten Freund Jesu, der ihn am Kreuz verleugnete und dem der Auferstandene dann verziehen hat. So sind Menschen: Das lässt sich da lernen! Und so, nur so, ergibt sich der gnädige, der menschliche Umgang miteinander.