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Essen und Trinken

Neulich war ich auf einer Beerdigung. Die Mutter einer Freundin ist gestorben. Im Anschluss an die Trauerfeier auf dem Friedhof, findet der Beerdigungskaffee in einer Wirtschaft statt.  Mit anderen gehe ich auch dorthin. Wir essen Kuchen und Brötchen, trinken Kaffee und reden über die Mutter der Freundin. Geschichten über sie werden erzählt und auch manche Schrulligkeit, die zu ihr gehörte. Ich schaue in die Runde und bemerke, dass der Enkel und seine Frau nicht da sind. Auf dem Friedhof habe ich die beiden noch gesehen. Ich frage meine Nachbarin. Die sagt mir: „Die beiden mögen es nicht, wenn im Anschluss an eine Beerdigung gegessen und getrunken wird. Sie finden das nicht gut. Kaum ist die Oma unter der Erde, dann wird gegessen und getrunken, haben sie gesagt. Na ja, jeder muss ja wissen, was er tut,“ fügt sie hinzu. „Ja – natürlich“ sage ich.

Mir fällt ein, dass ich das auch einmal so gedacht habe. Ich war damals 19 Jahre alt und meine jüngere Schwester wurde beerdigt. Nach der Beerdigung auf dem Friedhof und dem Gottesdienst in der Kirche, sind alle zum Beerdigungskaffee gegangen. Es waren sehr viele Menschen da. Ich weiß noch, dass ich sehr traurig gewesen bin und gedacht habe: Das geht doch nicht, dass jetzt einfach gegessen und getrunken wird. Man kann doch nichts so tun, als ginge alles weiter wie bisher, als wäre nichts passiert.

Später habe ich meine Meinung geändert. Ich habe nämlich erlebt, wie wohltuend es ist, wenn man nach einer Beerdigung nicht alleine ist. Wie gut es tut, die Anteilnahme anderer Menschen zu spüren. Wie gut es tut, miteinander zu essen und zu trinken. Da wird so manches persönliche Wort gesprochen. Geschichten werden erzählt, und es wird auch miteinander gelacht. Miteinander essen und trinken nach einer Beerdigung tröstet. Aber nicht nur da. Gemeinsam zu essen ist generell wichtig. Essen ist viel mehr als eine reine Nahrungsaufnahme.

Davon erzählt auch folgende Geschichte von einem alten Bäcker. Eines Tages kommt ein Mann zufällig in seine Bäckerei. „Sie sehen so traurig aus,“ sagt der alte Bäcker zu ihm. „Ja, ich habe Angst um meine kleine Tochter. Sie ist gestern von einem Auto angefahren worden.“ „Wie alt ist sie?“ fragt der Bäcker. „Fünf Jahre“, antwortet der Mann. Da nimmt der alte Bäcker von dem Brot, das auf der Theke liegt. Er bricht zwei Stücke Brot ab und gibt eines dem Mann. „Essen sie mit mir“ sagt der Bäcker. „Ich will an Sie und ihre kleine Tochter denken.“ So etwas hat der Mann noch nie erlebt. Aber er versteht, was der Bäcker meint, als er ihm das Stück Brot gibt. Sie essen beide ihr Stück Brot und schweigen. Beide denken sie an das Kind im Krankenhaus. Da betritt eine Frau den Laden. Sie war auf dem Markt einkaufen und will jetzt noch eben Brot holen. Bevor sie überhaupt etwas sagen kann, sagt der Bäcker zu ihr: „Kommen Sie, essen Sie mit uns.“ Er gibt ihr ein Stück von dem Brot. „Die Tochter von dem Herrn hier liegt im Krankenhaus. Sie ist angefahren worden. Sie ist erst fünf Jahre alt. Der Vater soll wissen, dass wir ihn nicht alleine lassen.“ Die Frau versteht das sofort und nimmt das Stück Brot, das der Bäcker ihr gibt. Die drei essen gemeinsam schweigend ihr Stück Brot und denken an das Kind.

Das gemeinsame Essen verbindet. Es schafft Anteilnahe am Schicksal eines anderen Menschen. Essen stärkt und gibt Kraft um weiterzuleben. So habe ich es erlebt bei der Beerdigung der Mutter meiner Freundin. Das gemeinsame Zusammensein, Essen und Trinken hat nicht nur den Angehörigen geholfen, sondern auch mir.