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Erst, wenn er fehlt

Ein winziges Büchlein. Man sieht ihm an, dass ich schon so lange immer wieder mal drin blättere: Spruchweisheiten aus dem Mittelalter, erstaunlich viele auch heute noch aktuell. Zum Beispiel: „Wenn die Kuh den Schwanz verloren hat, weiß sie, wozu er gut war.“ Ich kenne diese Erfahrung, leider. Sie vielleicht auch?

Man schätzt etwas gering, trennt sich ohne Bedenken davon und stellt plötzlich mit Schrecken fest, wie sehr es fehlt. Gerade das Unauffällige, das sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern einfach seine Aufgabe erfüllt, wird allzu leicht für selbstverständlich oder gar nutzlos gehalten. So wie der arbeitsfreie Sonntag zum Beispiel. Glaubt man den Gewinnmaximierern, ist der reiner Luxus und passt nicht mehr in unsere Zeit.

Ja, es stimmt: Der Sonntag ist Luxus, allerdings ein ganz und gar unentbehrlicher Luxus. Der Sonntag soll seit den Zeiten der Bibel der ganz andere Tag sein. Um das zu verstehen, muss man nicht mal Christ sein. Zum Sonntag gehören zum Beispiel Ruhe, Besinnung und Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Und: auch Spaß darf hier seinen Platz haben. Der gemeinsame Feiertag ist ein Geschenk an alle. An die vor allem, die nicht aus eigener Macht heraus frei über ihre Zeit entscheiden können.

Ich weiß, dieses Geschenk nutzen nicht alle und die, die es tun, nutzen es nicht immer sinnvoll. Ich weiß, es gibt Menschen, deren Arbeit wird auch oder gerade am Sonntag gebraucht. Na und? Regeln haben Ausnahmen. Aber das ist noch lange kein Grund, die Ausnahme zur Regel zu machen. Wenn die Kuh den Schwanz verloren hat, weiß sie, wozu er gut war. Noch hat sie ihn. Müssen wir erst den Sonntag verlieren, bevor wir seinen Sinn begreifen?

Das kann doch nicht sein, oder?