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Enjoy the Silence – Die Stille genießen

Musik:
Felix Mendelssohn-Bartholdy, Andante C-Dur, op. 102: 0´00-2´31

Autor:
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer. Mit dem Andante in C-Dur, opus 102 von Felix Mendelssohn-Bartholdy begrüße ich Sie zu dieser Morgenfeier am 1. / 2. Weihnachtsfeiertag. Schön, dass Sie alle mit dabei sind und meinen Worten lauschen.

Das Eingangslied ist eines von insgesamt 48 der „Lieder ohne Worte“ des jüdischen Komponisten und „ohne Worte“ – das ist ein gutes Stichwort. Denn so komme ich mir auch oft vor. Ohne Worte. Dann nämlich, wenn mir dieselben fehlen. Und zwar leider gerade dann, wenn ich etwas besonders Wichtiges ausdrücken möchte. Das war früher schon so in manchen Prüfungen und das ist heute immer noch so. Weniger bei Prüfungen (davon muss ich zum Glück nicht mehr allzu viele ablegen), sondern vor allem im privaten Bereich. Da gibt es Situationen, in denen ich meinem Gegenüber unbedingt etwas mitteilen möchte. Etwas, das mir unter den Nägeln brennt oder im Magen liegt oder mich sonst wie beschäftigt. Aber gleichzeitig habe ich Angst, mich falsch auszudrücken, missverstanden zu werden oder mein Gegenüber zu verletzen. Und oft habe ich das Gefühl, je länger ich über die richtigen Worte nachdenke, desto seltener finde ich sie. Oder anders gesagt: Desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein falsches Wort wähle. Also sage ich dann oft gar nichts und unangenehme Stille entsteht. Peinliches Schweigen oder ein weitergehendes Gespräch, bei dem das Gefühl bleibt: Irgendetwas fehlt da jetzt. Ein oder mehrere Worte sind hier nicht gesagt worden.

An Weihnachten geht es auch um ein Wort. Aber nicht um irgendeines, sondern um das Wort, das im Anfang war und das bei Gott war und das Gott selbst war. Der Evangelist Johannes schreibt im Prolog seines Evangeliums:

Sprecherin:
Von Anfang an gab es den, der das Wort ist. Er, das Wort, gehörte zu Gott. Und er, das Wort war Gott in allem gleich.2Dieses Wort gehörte von Anfang an zu Gott.3Durch dieses Wort wurde alles geschaffen. Und nichts, das geschaffen ist, ist ohne dieses Wort entstanden. Er, das Wort, war zugleich das Leben in Person. Und dieses Leben bedeutete das Licht für die Menschen.5Das Licht leuchtet in der Dunkelheit, und die Dunkelheit konnte es nicht überwältigen. Er, das Wort, wurde ein Mensch. Er lebte bei uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Es war die Herrlichkeit, die ihm der Vater gegeben hat –ihm, seinem einzigen Sohn. Er war ganz erfüllt von Gottes Gnade und Wahrheit.
(Joh 1,1-4.15)

Autor:
Der Evangelist Johannes versucht hier, in Worte zu fassen, was doch im Grunde unfassbar ist: An Weihnachten feiern wir, dass Gott Mensch wird. Der Philosoph Sören Kierkegaard hat in diesem Zusammenhang von dem „schlechthinnigen Paradoxon“ gesprochen. Der undenkbar große Gott macht sich klein und wird ein Mensch. Ein Baby in einem zugigen, stinkenden Stall. Der Grund dafür ist Liebe. Gottes Liebe zu uns Menschen. Einer Liebe, die so groß ist, dass sie im Grunde nicht in Worte zu fassen ist. Jeder Versuch, sie zu beschreiben, ist bereits im Vorfeld dazu verdammt, Stückwerk zu bleiben. Denn mit menschlichen Worten, sprich: mit Teilen der Schöpfung, lässt sich kein Aspekt Gottes, des Schöpfers, erschöpfend beschreiben. Das wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass menschliche Worte oft schon nicht ausreichen, um die Liebe zwischen Menschen zu beschreiben. Unzählige Liebesbriefschreiber wissen um diese Problematik. Sie bemühen ihre schönsten, ihre besten Worte, Wortkombinationen, Sprachbilder, ganze Sätze und Satzgefüge – und doch haben sie das Gefühl, damit lediglich einen Abklatsch dessen zu Papier zu bringen, was sie für ihre Angebetete bzw. ihren Angebeteten empfinden.

Der deutsche Sänger Tim Bendzko hat dieser Problematik ein eigenes Lied gewidmet. Es heißt: Wenn Worte meine Sprache wären:

Musik:
Tim Bendzko, Wenn Worte meine Sprache wären: 0´00-2´53 (danach folgende Worte über das Outro legen)

Autor:
Gott kennt diese Problematik. Kein Wunder, er hat uns Menschen ja schließlich erschaffen. Er weiß, dass wir bestimmte Dinge nur unzureichend ausdrücken und nur unzureichend verstehen können. Die Liebe ist zum Beispiel eines dieser Dinger. Deshalb hat er sich zu Weihnachten etwas Besonderes einfallen lassen, wenn Sie so wollen, liebe Hörerinnen und Hörer: Er lässt statt Worten nicht nur Taten sprechen, er lässt sein Wort Mensch werden. Den konkreten Menschen Jesus Christus. Damit wir an seinem Beispiel, an seinem Leben und auch an seinem Sterben verstehen, was Gottes Wille ist und wie sehr er uns Menschen liebt.

Der Priester und Poet Andreas Knapp hat ein Gedicht verfasst mit dem Titel „Das Wort will Fleisch werden“

Sprecherin:
Wenn Worte wirkluich etwas sagen könnten
und nicht nur
hohle Hülle blieben

Wenn Worte Fingerspitzen hätten
und sich einfühlen könnten
bis unter die Haut

Wenn Worte Hand und Fuß bekämen‘
und Schrittmacher wären
für eine bessere Welt

Wenn Worte etwas bewegen könnten
und ihre Wahrheit
mit Händen zu greifen wäre

Wenn Gott selbst ein solches Wort wäre
in Fleisch und Blut
uns übergegangen

Autor:
In Jesus ist Gott selbst ein solches Wort geworden. Ein Wort allerdings, das nicht immer nur laut daherkommt, wie zB wenn Jesus die Händler aus dem Tempel vertreibt oder wenn er öffentlich Wunder vollbringt. Das fleischgewordene Wort Gottes wird auch eher leise gesprochen. Wenn Jesus z.B. im Haus des Zöllners Zachäus einkehrt und mit ihm isst, ganz privat. Und schon die Geburt an sich war, wenn sie so wollen, ejer ein leises Wort. Nicht in einem Palast, sondern in einem Stall ist das Wort Fleisch geworden. Das Problem, das damit freilich einhergeht, ist, dass wir solche leisen Töne, solchen leisen Worte oft nicht hören im Lärm, der uns umgibt. Und das ist umso bedenklicher, als es oft gerade die leisen Worte sind, die wir brauchen, die uns weiterbringen.

Der englische Singer- und Songwriter Mike Rosenberg, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Passenger“, singt davon in seinem Lied „Whispers“, auf Deutsch: Geflüster:

Musik:
Passenger, Whispers, 0´00-0´20 (gelooped), darüber Text

Sprecherin:
Ich habe offene Augen
Und eine offene Tür
Aber ich weiß nicht, wonach ich suche
Ich sollte es jetzt wissen

Nun, ich habe ein großes altes Herz
Das weiß ich sicher
Aber ich weiß nicht, wofür meine Liebe ist
Ich sollte es jetzt wissen
Ich warte in der Schlange
Also kann ich noch etwas warten
Bis ich mich nicht erinnern kann, wofür ich hierhergekommen bin
Aber ich kann jetzt nicht gehen

Weil ich ein Licht habe, das scheint
Und eine Liebe so rein
Aber ich weiß nicht, wofür ich sie verwenden soll
Ich sollte es jetzt wissen
Nun, ich habe mein Geld ausgegeben,

ich habe meine Freunde verloren,

ich habe mein Handy kaputt gemacht
3 Uhr morgens und ich bin verdammt betrunken und tanze alleine
Taxis halten nicht an und ich kenne meinen Weg nach Hause nicht

 

Es ist schwer, einen Grund zu finden, wenn Du so voller Zweifel bist
Schwer in dir zu sehen, wenn du deinen Ausweg nicht sehen kannst
Es ist schwer, eine Antwort zu finden, wenn die Frage nicht herauskommt

Alle füllen mich mit Lärm, ich weiß nicht, wovon sie sprechen
Alle füllen mich mit Lärm, ich weiß nicht, wovon sie sprechen
Alle füllen mich mit Lärm, ich weiß nicht, wovon sie sprechen
Du siehst alles, was ich brauche, ist ein Flüstern in einer Welt, die nur schreit
Musik:
Passenger, Whispers, 0´00-3´35

Autor:
„Alles, was ich brauche, ist ein Flüstern in einer Welt, die nur schreit.“ Dieser Vers erinnert mich an eine Geschichte über den Propheten Elia. Der hatte laut geredet. Zu den Israeliten, die die Propheten Gottes umgebracht und seine Altäre zerstört hatten. Zu den Priestern der Gottheit Baal, denen er zeigen wollte, wessen Gott der wahre Gott ist. Elias Gott hatte sich schließlich als der stärkere erwiesen. Ende gut, alles gut, könnte man meinen. Stimmt so aber nicht ganz. Denn Elia ist gestresst, müde, matt und schlapp von der Arbeit, die hinter ihm liegt. Und so zieht er sich in die Wüste zurück und möchte sterben. Aus heutiger Sicht würde man sagen, dass Elias Zustand Züge einer depressiven Verstimmung oder gar einer Depression trägt. Er versteckt sich in einer Höhle.

Sprecherin:
11Der Herr sprach (zu Elia): Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr ging vorüber. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben. 12Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. 13Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.

Autor:
Stille ist nicht gleich Stille. Es gibt die unangenehme Stille, von der ich zu Beginn dieser Morgenfeier gesprochen habe. Die Stille, die entsteht, wenn man eigentlich etwas sagen möchte bzw. sagen muss, aber einem die Worte fehlen. Die Stille, die entsteht in Folge einer Peinlichkeit, wenn alle beschämt zu Boden blicken. Die Stille, die entsteht, wenn sich Menschen einfach nichts mehr zu sagen haben. Aber daneben gibt es auch eine andere Stille. Eine erfüllte, gefüllte Stille. Die Stille bzw. Ruhe, in der die Kraft liegt. Die nicht unangenehm ist, sondern heilsam. Die Stille, die in der Heiligen Nacht geherrscht hat, im Stall von Bethlehem, wenn das kleine Jesusbaby friedlich geschlafen hat und die Stille, die nachts auf dem Feld bei den Hirten herrschte. Als die Tiere geschlafen haben und die Hirten – abgesehen von den Wachen – rund ums Lagerfeuer geschlafen oder zumindest gedöst haben. Die Stille, in die hinein dann der Engel seine frohe Botschaft gesprochen hat:

Sprecherin:
„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11denn euch ist heute der Heiland geboren.“

Autor:
Die britische Band Depeche Mode hat der Stille, der positiven Stille, ein ganzes Lied gewidmet. Es trägt den Titel „Einjoy the silence – genieße die Stille“  und wir hören es jetzt in der Version der französischen Sängerin Carla Bruni

Musik:
Carla Bruni, Enjoy the silence, 0´00-0´09 (gelooped, darüber Text)

Sprecherin:
Worte, die wie Schläge sind
Beenden die Stille
Brechen herein
Über meine kleine Welt
Es tut weh
Wie sie mich durchbohren
Kannst du das nicht verstehen
Oh mein kleines Mädchen

Alles, was ich je wollte
Alles, was ich je brauchte
ist hier in meinen Armen
Worte sind völlig unnötig
Sie können nur Schaden anrichten

Gelübde werden abgelegt
Um dann doch gebrochen zu werden
Gefühle sind intensiv
Worte sind oberflächlich
Freuden bleiben
Genau wie der Schmerz
Worte sind bedeutungslos
Und schnell vergessen
Alles, was ich je wollte
Alles, was ich je brauchte
ist hier in meinen Armen
Worte sind völlig unnötig
Sie können nur Schaden anrichten

Musik:
Carla Bruni, Enjoy the silence, 0´00-3´14

Autor:
Liebe Hörerinnen und Hörer,
ich wünsche Ihnen, dass Sie trotz Corona und allem, was dieses Weihnachtsfest bereits im Vorfeld erschwert hat und aktuell noch immer erschwert, dass Sie positiv-stille Momente erleben und dass Sie auch die Zeit und Muße finden, diese Momente zu genießen. Alleine oder mit anderen Menschen, mag deren Zahl auch in diesem Jahr sehr begrenzt sein. Ich bin überzeugt: Wir Menschen brauchen diese Stille, denn sie ist heilsam. Sie bringt uns zur Ruhe und macht uns offen. Offen für die Begegnung mit Gott und die frohe Botschaft von Weihnachten. Einer Botschaft, die trotz Corona und allem, was damit zusammenhängt, nichts von ihrer Aktualität und ihrer Wahrheit verloren hat.

Sprecherin:
„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11denn euch ist heute der Heiland geboren.“

Autor:
Verabschieden möchte ich mich von Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, mit einem der bekanntesten Weihnachtslieder. Nicht nur bei uns in Deutschland, sondern im Grunde überall der Welt: Stille Nacht, Heilige Nacht. Hier in der Version der irischen Sängerin Sinead O´Connor. Das Arrangement gefällt mir deshalb besonders gut, weil es die Stille, von der der Text handelt, auch musikalisch ausdrückt.

Ich wünsche Ihnen allen gesegnete Weihnachten und vor allem: Bleiben Sie gesund!

Musik:
Sinead O´Connor: Silent Night, 0´00-3´47