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Elefant und Schmetterling

Der Elefant sitzt wie immer unnötig in seinem Haus herum. Das Einzige, was er tut, ist aus dem Fenster zu schauen. Aber an dem wirklichen Leben nimmt er nicht teil. Er bleibt Zuschauer, betrachtet das Leben der Anderen. Eines Tages fliegt ein kleiner Schmetterling die Straße entlang zu ihm hinauf. Der Elefant wird angesichts des unerwarteten Besuchers so aufgeregt, dass er erst beim dritten Klopfen des Schmetterlings mit zitternder Stimme fragen kann, wer da klopft. Nachdem der Schmetterling ins Haus gekommen ist, zieht Regen auf. so haben die beiden viel Zeit, sich miteinander vertraut zu machen. Als irgendwann nach dem Regen die Sonne wieder scheint, nimmt der Schmetterling den Elefant mit nach draußen. Die Tiere gehen gemeinsam die Straße hinunter zum Haus des Schmetterlings. Fortan will der Elefant den Schmetterling jeden Tag besuchen. Und beide werden sich immer lieb haben.

Eine schöne Geschichte ist das, die sich der amerikanische Dichter Edward Estlin Cummings ausgedacht hat. Zwei Tiere, die unterschiedlicher nicht sein könnten, begegnen sich und finden auf ganz unkomplizierte Weise zueinander. Dass dabei ausgerechnet der Schmetterling als der vermeintlich Schwächere das große starke Tier aus seiner Isolation befreit, ist erstaunlich und es macht Mut für das eigene Leben: Niemand sollte zu klein von sich selbst denken, so etwa nach dem Motto: „Da kann ich ja doch nichts machen. Dafür bin ich viel zu schwach. Da habe ich ja eh keine Chance.“

Mich erinnert das Märchen vom Elefanten und Schmetterling an eine Strophe aus dem alten Kirchenlied „Sonne der Gerechtigkeit“. Da heißt es: „Lass uns mit unserer kleinen Kraft üben gute Ritterschaft. Erbarm Dich, Herr!“  Da ist sie wieder, die Ermutigung, uns bewusst zu machen, dass jede und jeder von uns mehr machen kann, als wir uns selbst zutrauen: Wenn wir eine Ungerechtigkeit wahrnehmen, können wir sie zur Sprache bringen und auf Abhilfe dringen. Einem kranken Nachbarn können wir einen Besuch abstatten und ihm Hilfe beim Einkaufen anbieten. Einem alten Menschen können wir helfen, über die vielbefahrene Fahrbahn zu kommen. Wir alle können viel füreinander leisten. Dann ist Frühling, auch wenn es nun Herbst wird.