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Einsamkeit

„Da kenne ich niemanden.“, sagt meine Tante, als ich ihr vorschlage, sich zum Ausflug mit der Kirchengemeinde anzumelden.

Fast zehn Jahre hat sie meinen Onkel gepflegt. Immer mehr Freunde haben sich zurückgezogen. In den letzten drei Jahren sind nur noch eine Nachbarin und ein ehrenamtlicher Alltagsbegleiter zu Besuch gekommen. Seit mein Onkel gestorben ist, ist es noch ruhiger geworden. Meine Tante ist einsam. Ich will ihr so gerne helfen, weiß aber nicht, wie.

Da fällt mir ein Artikel in die Hände. Dort wird berichtet, dass einsame Menschen nach einem Jahr deutlich weniger einsam oder niedergeschlagen sind, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf Dinge in ihrer Umwelt lenken. Das will ich versuchen. Frei nach einer Bibelstelle: Was du willst, dass dir andere tun, das tue du für andere.

Ich mache mit meiner Tante Ausflüge an Orte, die sie noch nicht kennt. Wir bestaunen Blumen, beobachten Kinder beim Spielen. Bei Telefonaten frage ich sie, welche Vögel ans Vogelhäuschen kommen und wie die Apothekerin das Schaufenster gestaltet hat. Ich besuche gemeinsam mit ihr den Gottesdienst, und wir bleiben anschließend zum Gemeindekaffee.

Nach einiger Zeit sitzt meine Tante sonntags immer mit den gleichen Frauen beim Gemeindekaffee. Sie erzählt, dass sie sich die ganze Woche freut, sie zu treffen.

Und heute? Heute hat meine Tante einen vollen Terminkalender. Sie ist ständig mit ihren neuen Freundinnen unterwegs. „Das ist großartig!“, denke ich. Ich freue mich sehr für meine Tante. Und dann merke ich, dass mich diese Erfahrung selbst beglückt hat. Vielleicht wollen Sie es auch einmal ausprobieren?