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Eine Zumutung

Manchmal stelle ich mir vor, wie das gewesen wäre: Vor 2000 Jahren. Ich – ein Jünger Jesu. Sozusagen live dabei.

Und Jesus hat uns zusammengerufen. Uns alle. Er steht einfach so da, und wir, wir sitzen im Halbkreis um ihn herum. Ich dachte an unsere bisherige Reise. An all die Orte, die ich mit ihm gesehen hatte. Die fremden Städte, die wir besucht hatten. An all die Menschen, denen wir begegnet sind. An all die Wunder, die er vollbracht hatte, und die ich mit eigenen Augen sehen durfte.

„Geht!“ Das Wort reißt mich aus meinem Tagtraum heraus. Geht? Aber wohin denn? Ich schaue die Frau neben an: „Was hat er gesagt?“ „Wir sollen gehen“, sagt sie. „In die Dörfer und in die Städte. Wir sollen nichts mitnehmen, und alles zurücklassen. Wir sollen da Menschen begegnen und die Frohe Botschaft verkünden.“ Und ohne ein weiteres Wort steht sie auf und geht fort. Wie alle anderen auch.

Ich bleibe fassungslos sitzen. Das kann doch jetzt nicht sein Ernst sein. Oder? Was weiß ich denn, was da draußen auf mich wartet? Was soll ich essen? Wo soll ich schlafen? Ihm haben die Fremden ja zugehört. Aber mir? Gerade als ich aufstehen und protestieren wollte, als ich bereit war, ihm mal ehrlich meine Meinung zu geigen und dass jetzt aber eine Grenze erreicht sei – und ob er denn überhaupt wüsste, was er mir da zumutet – da kam er auf mich zu und sagt: „Ja. Eine Zumutung. Ganz richtig. Du hast Angst, vor dem was kommt. Und der Mut, der dir fehlt, den spreche ich dir zu. Ich hab‘ vertrauen in dich. Nun geh.“ Er drehte sich um und ging fort. Eine Weile schaute ich ihm nach. Immer noch verdutzt. „Eine Zu-Mutung“, dachte ich. Und dann setze ich einen Fuß vor den anderen, und ich gehe einfach los. Eine Zumutung. Oder etwa nicht?