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Eine Hochzeit im Winter

Eine Hochzeit im Winter. Die kleine Kirche ist mit überwiegend älteren Leuten voll besetzt. Als der Posaunenchor zu spielen beginnt, steht die Gemeinde auf. „Sie kommen“, höre ich ein Flüstern. Langsam gehen sie durch den Mittelgang der Kirche auf den Altar zu. Vorneweg die Pfarrerin, dann das Brautpaar. Der Mann so um die 60. Im Haar der Frau glitzern einige silbergraue Strähnchen. Zwei gereifte Menschen. Jeder von ihnen hat schon ein gutes Stück Lebensgeschichte durchlebt.

Sie ziehen in die Kirche ein, mit ernsten und doch glücklichen Gesichtern, ohne weißes Kleid und Schleier, ohne Blumenkinder. Langsam nähern sie sich dem Altar, vor dem zwei Stühle für sie bereitstehen. Schließlich setzen sich alle und der Gottesdienst beginnt. Es gibt Lieder und Gebete. Die Pfarrerin liest aus der Bibel. Es ist ein Text über die Liebe Gottes zu den Menschen und über die Liebe der Menschen zueinander. Dann predigt sie darüber, wie wichtig es ist, sich in einer Partnerschaft mit allen Stärken und Schwächen anzunehmen. Das Brautpaar hört ihr aufmerksam zu. Als die Pfarrerin zu Ende geredet hat, stehen die beiden auf. Sie drehen sich zueinander und sehen sich einen Moment lang an. Dann spricht der Mann:

„In Verantwortung vor Gott und vor dieser Gemeinde verspreche ich dir: Ich möchte dich, meine Frau, als einen kostbaren, einzigartigen Menschen sehen. Ich möchte deine Würde und deinen Willen achten, deine Schwächen annehmen und deine Stärken fördern. Ich möchte dir ein Lebensbegleiter sein, Freude und Trauer mit dir teilen. Schönes mit dir erleben und Schweres bestehen. Ich möchte nicht gleich aufgeben, wenn sich Schwierigkeiten ergeben. Ich möchte Streit schlichten und Schuld vergeben. Ich möchte dir jeden Tag neu in Liebe begegnen. Mit Gottes Hilfe möchte ich das. Amen.“

Anschließend spricht die Frau dieselben Worte zu ihrem Mann. In der Kirche ist es so still, dass man den eigenen Atem hören kann. Als die beiden sich gegenseitig die Ringe anstecken, da schniefen die Frauen, die Männer nehmen die Brillen ab und wischen sich die Augen. Der Mann und die Frau vor dem Altar lächeln sich an, sehr verliebt und zugleich sehr weise. Sie sind ganz bei sich selbst mit dem, was sie gesagt haben. Das Eheversprechen haben sie selbst formuliert, haben selbst in Worte gefasst, was ihnen für ihr gemeinsames Leben wichtig ist. Und so stecken hinter jeder Zeile ihre eigene Lebenserfahrung, ihre Einsichten und Enttäuschungen, ihre Sehnsucht und ihr Mut. Und in der Art, wie das Paar diese Sätze zueinander spricht, ist ihr Vertrauen zu spüren, Vertrauen in Gott, dass er ihnen bei ihrem Zusammenleben helfen wird. Und Vertrauen in den anderen als eigenständige Person und als Partner. Das ist es wohl, was die Gottesdienstbesucher so angerührt.

Und die, die in den Kirchenbänken sitzen, die Verheirateten, die Witwen und Witwer, die Getrenntlebenden, die schon lange Geschiedenen, die frisch Verliebten, sie alle spüren, wie recht die beiden haben. Und es tat ihnen allen gut, sich für sich selbst klarzumachen, worauf es ankommt in einer Partnerschaft, nämlich: dem anderen ein liebevoller Lebensbegleiter zu sein, Freude und Traurigkeit zu teilen, aber eben auch Streit zu schlichten und Schuld zu vergeben, Vertrauen zu haben und bei allem: die Würde des anderen zu achten.