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Ein letzter Gruß

Wenn man auf dem Saarbrücker Hauptfriedhof gleich nach dem Haupteingang rechts dem Weg folgt, trifft man auf ein Ensemble von oberirdischen Grabkammern. Sie sehen für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich aus: Es handelt sich nicht um Urnenwände, sondern um ein System mit jeweils 16 große Kammern, in denen Verstorbene in Särgen beigesetzt werden. So ist es in einigen Regionen Italiens üblich. Und so waren es auch in Saarbrücken lebende Italiener, die sich vor einigen Jahren diese Möglichkeit der Bestattung für ihre alt gewordenen Angehörigen gewünscht haben. Die Nachfrage war so groß, dass binnen kürzester Zeit nachgebaut werden musste. Bei schönem Wetter kann man beobachten, wie sich rund um diese Grabanlagen, die reichlich mit Schmuck, Inschriften, Fotos und Kerzen verziert sind, ganze Familien treffen, um ihre Toten zu besuchen, den Blumenschmuck in Ordnung zu bringen – und ein Schwätzchen zu halten. Manche bringen sogar Campingstühle dafür mit. Es ist eine lebendige Trauerkultur, in vertrauter Nähe zu den Toten.

Es sind aber nicht nur die ein wenig exotisch anmutenden italienischen Grabkammern oder die steigende Zahl der muslimischen Grabfelder, die auf Veränderungen auf unseren Friedhöfen hinweisen. Wer aufmerksam über die Saarbrücker Friedhöfe geht, wird wahrnehmen, wie vielfältig die Grabstätten geworden sind.

Die Bestattungskultur hat sich in ganz Deutschland in den letzten zwanzig Jahren radikal verändert. Neben der Beisetzung auf dem Friedhof haben sich See- und Luftbestattungen weiter etabliert ebenso wie Friedwälder und Urnenhallen. Und der Trend zum kreativen Umgang mit Trauer, Sterben und Tod hält an. Immer mehr Menschen suchen entsprechend persönlicher Merkmale – also Herkunft, Alter, Geschlecht, Religion, Weltanschauung und sexueller Identität – neue Möglichkeiten, ihren letzten Weg aktiv mitzugestalten.

Der Kultur- und Archäologiehistoriker Reiner Sörries beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Wandel der Bestattungskultur. In seinem neuen Buch „Ein letzter Gruß“ beschreibt er neue Formen der Bestattungs- und Trauerkultur. Er zeigt, welches Potenzial eine plurale Gesellschaft auch im Hinblick auf den letzten Weg entfalten kann. So beschreibt er, dass ältere Menschen mitunter andere Bestattungswünsche haben als jüngere, Frauen andere als Männer.  Außerdem zeichnet er nach, dass viele Veränderungen in der Bestattungskultur aus der Not von AIDS-Kranken und ihren Freunden geboren wurden, die Ausgrenzung bis in den Tod hinein erlebt haben. Aus der AIDS-Szene heraus sind neue Formen der Trauerfeier entstanden, die auch Impulse für andere Gruppen gesetzt haben, und Patenschaften für Grabstellen, die nicht mehr nur Ruhestätten sind, sondern Bekenntnisorte gegen Diskriminierung. Reines Sörries tritt in seinem Buch überzeugend und ermutigend für eine offene, vielfältige Gesellschaft ein, die diese Vielfalt von der Wiege bis zur Bahre lebt und feiert.

In Saarbrücken wird derzeit an einem Friedhofsentwicklungsplan gearbeitet. Auch er beschreibt den Umbruchprozess und entwickelt neue Wege. Wenn etwa auf den Friedhöfen heute schon drei Viertel der Beisetzungen Urnenbestattungen sind, die deutlich weniger Fläche beanspruchen, dann wird deutlich, dass sich der Friedhof zunehmend zu einer „Grünfläche mit Bestattungsinseln“ wandeln wird. Darin wiederum liegt ein großes Potenzial: nämlich die Toten wieder näher an die Lebenden heranrücken zu lassen, die sich gerne auf diesen grünen Inseln aufhalten. So wie heute schon die italienischen Familien, die auf Campingstühlen neben den oberirdischen Grabkammern verweilen.

Möge die Straße uns zusammenführen
und der Wind in Deinem Rücken sein;
sanft falle Regen auf Deine Felder
und warm auf Dein Gesicht der Sonnenschein.
Und bis wir uns wiedersehen,
halte Gott Dich fest in seiner Hand.

So lautet ein beliebtes irisches Segenslied. Es ist eigentlich ein Reisesegen. Aber es kann auch gut für Aufbruch und Ankunft auf der Straße des Lebens stehen. Einer Straße, die im besten Fall an einem grünen Ort endet, an dem es sich auch gut leben lässt.