Ein Herrgott
Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört: „Wir haben doch alle einen Herrgott!“ Hört sich zunächst gut an, klingt tolerant und freundlich. Doch wird er mir meistens zu schnell gesagt, dieser Satz. Denn so lässt sich eine Diskussion geschickt abblocken über das, was gut und richtig ist. So wird Gegensätzen gleich die Spitze genommen, bevor sie richtig ausbrechen. „Wir haben alle einen Herrgott“ – da höre ich: „Komm, wechseln wir das Thema!“
Wechseln wir das Thema diesmal nicht.
„Wir haben alle einen Gott!“ – das gehört zum Glaubensbekenntnis aller drei großen monotheistischen Weltreligionen. Aber nicht nur fundamentalistische Islamisten oder ultra-orthodoxe Juden sondern auch Christen in Vergangenheit und Gegenwart haben still oder laut weitergedacht: „und dieser eine Gott, das ist unserer, nicht eurer!“
So wird immer wieder anderen Religionen die spirituelle Qualität oder gleich ganz die Daseinsberechtigung abgesprochen. Auch in der christlichen Geschichte. Ich denke da an die Kreuzzüge. Oder an die irrationale Angst vor dem Islam heutzutage.
Zur Strategie gehörte, vorgefundene fremde Tradition christlich umzuetikettieren. Oder in nur schlecht abstreitbaren positiven Aspekten der fremden Religion doch irgendwie Jesus Christus am Werk zu sehen – eben nur verborgen. Besonders perfide, wie ich finde.
Aber: Die Welt ist zusammengerückt. Smartphones aus China, Kreuzfahrt am Nordkap, Gas aus Russland. Flüchtlinge aus Syrien, Afrika, der Ukraine. Ärzte aus Indien, Pflegekräfte aus Mexiko. Mit den Menschen, die von einem Ende der Welt zum anderen ziehen, treffen auch die Religionen dieser Welt aufeinander. Und auf die, die mit keiner Religion mehr etwas zu tun haben wollen. In jeder Stadt, in jedem Dorf, in jeder Schule, in jedem Betrieb. Das macht Probleme, ja Angst. Muss aber nicht.
Mancher Christ flüchtet sich zum einfachen Bekenntnis gegen das, was da auf ihn einströmt: Nur in Jesus Christus, sonst nirgends, ist Gott! Das ist für ihn persönlich so – aber was ist verloren, wenn er anerkennt, welch faszinierenden religiösen Reichtum Gott daneben auf seiner Welt zulässt?
Ich bin ja Anhänger von diesem Jesus, wie Sie wissen. Der kündigt allerdings „himmlische Überraschungen“ an:
Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen!
Da wird nicht fein säuberlich getrennt nach Religionen und Glaubensrichtungen, nein: unerwartete Gäste werden neben denen sitzen, die man dort nach eigener Tradition erwarten darf. Und gemeinsam wird am Tisch getafelt. Faszinierende, bunte Vielfalt.
Darf ich deshalb nicht mehr dem moslemischen Ehemann in den Arm fallen, der seine Frau schlägt, weil‘s Allah erlaubt nach seiner Auffassung? Ich glaube schon. Sogar mit Blick auf seinen Koran. Genauso wie ich dem fundamentalistischen Christen mit dem Blick auf die Bibel widerspreche, für den Menschen mit homosexueller Orientierung des Teufels sind. Und kann mir umgekehrt vom buddhistischen Dalai Lama dessen neue Sicht auf Jesus erklären lassen.
Ja, es ist gut und richtig, wenn religiöse Menschen bekennen: „Wir haben einen Gott, wir sitzen an einem Tisch, dort können wir einander unsere Geschichten erzählen. Wir können auch heftig streiten, dürfen uns wieder versöhnen und seine guten Gaben gemeinsam genießen.“