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Ein Experiment

„Heute machen wir ein Experiment“, sage ich. „Es dauert 15 Minuten. Los geht‘s.“ Dann setze ich den Unterricht fort, doch ich wechsele dabei die Sprache. Die Schüler gucken erstaunt. „Was sagt der da?“ Sie können fast nichts verstehen. Den Text und die Fragen auf dem ausgeteilten Arbeitsblatt schon gar nicht. Mit viel Mühe und Hilfe von mir können sie zwar ein paar Antworten geben, aber es ist mehr ein Raten. Nach kurzer Zeit rauchen fast allen die Köpfe. Außer einem: Jacob. Er sitzt sonst immer nur da und sagt nichts. Aber jetzt blüht er förmlich auf. Er meldet sich, beantwortet problemlos die Fragen und liest den Text flüssig vor. Es ist seine Muttersprache. Es tut ihm gut, sie wieder zu sprechen. Mit Deutsch hat er noch ein paar Probleme. Jacob ist erst vor kurzem aus Guinea nach Deutschland gekommen.

So vergehen 15 Minuten, einigen aus der Klasse kommen sie wie eine Ewigkeit vor. Sie sind wirklich ins Schwitzen geraten. „Stop!“ sage ich. „Das Experiment ist zu Ende. Wie war’s für Euch?“ Die Antworten der Schüler sprechen eine deutliche Sprache. Sie sagen: „Anstrengend, weil man nichts versteht!“ „Irgendwie peinlich, wenn man drankommt und kann die Frage nicht beantworten!“ „Man will sich am liebsten verstecken!“ „Das stresst total, weil man Angst hat, sich zu blamieren.“ „Jetzt verstehen wir, wie Jacob sich fühlt.“ „Wir wollen in Zukunft mehr Rücksicht auf ihn nehmen und ihm helfen.“ „Aber die Lehrer sollen auch mehr Geduld mit ihm haben.“

Die Schüler haben viele Fragen an Jacob. Er erzählt von sich. Ich helfe ihm und übersetze ein bisschen. Allen imponiert, dass Jacob insgesamt fünf Sprachen spricht. Nur Deutsch, das ginge halt noch nicht so gut. Es klingelt. Stunde zu Ende. Heute wurde mehr gelernt, als das, was in Büchern steht.