Beiträge

„Du sollst Vater und Mutter ehren.“

Das Handy  klingelt. Ich liege im Bett und wache auf.  Es ist Samstag und noch ziemlich früh. Schlaftrunken greife ich zu meinem Handy.

 „Hier ist die Sozialstation aus  Alpen. Wir kommen nicht in das Haus Ihres Vaters. Er macht nicht auf. Vielleicht hat er uns nicht gehört. Aber wir sind besorgt.“ 

Schlagartig bin ich hellwach und nicht nur besorgt, sondern in Panik. Was ist passiert? Ist er gestürzt? Soll ich hinfahren?  Zwischen Neunkirchen und Alpen liegen 350 km.                                             Wie so oft in dieser Zeit spüre ich, wie hilflos mich diese Entfernung macht. Auch meine beiden Schwestern wohnen weiter weg.

Als 2007 die Lebensgefährtin meines Vaters gestorben ist, bedeutete das für ihn die komplette  Lebensumstellung. Sie war seine wichtigste Bezugsperson. Die Tage hat er bei ihr in einem Nachbarort verbracht und abends ist er nach Hause zurückgekehrt. Plötzlich konnte er nicht mehr zu ihr. Er war damals 80 Jahre alt.  

Im ersten Jahr waren wir drei Schwestern immer wieder einige Tage abwechselnd bei unserem Vater.

Wir haben die Hilfe  der kirchlichen Sozialstation aus Alpen für die Pflege in Anspruch genommen. Das war für uns eine wichtige Unterstützung.  Bei dem Telefonanruf damals war mein Vater übrigens glücklicherweise nicht gestürzt. Er hatte die Klingel nicht gehört, weil das Radio sehr laut war.

Mit der Zeit hat sich mehr und mehr abgezeichnet, dass das keine dauerhafte Lösung war. Eine Pflegekraft ins Haus nehmen, wollte unser Vater nicht.  

Wir Töchter haben überlegt, ob eine von uns ihn zu sich nehmen könnte.   Hatten wir nicht diese Verpflichtung als Kinder? Denn was bedeutet sonst das Gebot: „Du sollst Vater und Mutter ehren“?  Viele Fragen sind mir durch den Kopf gegangen. Wohnung, Arbeitsstelle – alles hätte sich für mich verändert. Es gab natürlich auch die Möglichkeit, ihn in einem Seniorenheim unterzubringen in der Nähe von einer von uns Töchtern.  Ich habe versucht, mir meinen alten, westfälischen Vater in einem saarländischen Seniorenheim vorzustellen. Es gelang mir nicht. Er würde die Sprache nicht verstehen und auch nicht die Mentalität der Menschen.  Unser Vater hat sehr klar gesagt, dass er am Niederrhein bleiben wolle. Dort sei er vertraut und zu Hause.                                                                

Wir haben schließlich einen Platz für ihn in einem nahegelegenen Seniorenheim gefunden.                                                                                                                                                                                     „Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“ hat er immer gesagt.