Dietrich Bonhoeffer
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer!
Mein Name ist Jörg Metzinger. Kevin Knor und ich begleiten Sie mit Texten und Gedanken durch die nächste Stunde.
Das Musikstück eben interpretiert eines der bekanntesten neueren Kirchenlieder im deutschsprachigen Raum: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Komponist ist Siegfried Fietz, hier eine Instrumentalversion von Quadro Nuevo. Ich habe weitere Musik dieses Quartetts für heute ausgesucht.
„Von guten Mächten wunderbar geborgen“: Mit dieser Musik muss ich heute beginnen, denn sie ist oft das Einzige, was viele über den Menschen wissen, der im Mittelpunkt der kommenden Stunde steht: Dietrich Bonhoeffer.
Dietrich Bonhoeffer wurde am 4. Februar 1906 in Breslau geboren. Er studierte evangelische Theologie, habilitierte bereits mit 24 Jahren. Nach Auslandsaufenthalten war er Privatdozent für Evangelische Theologie in Berlin sowie Jugendreferent in der Vorgängerorganisation des Ökumenischen Rates der Kirchen. Ab April 1933 nahm er öffentlich Stellung gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung und engagierte sich im Kirchenkampf gegen die Deutschen Christen und den Arierparagraphen. Ab 1935 leitete er das Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde, das, später illegal, bis 1940 bestand. Etwa ab 1938 schloss er sich dem Widerstand um Wilhelm Franz Canaris an. 1940 erhielt er Redeverbot und 1941 Schreibverbot.
Am 5. April 1943 wurde er verhaftet und zwei Jahre später hingerichtet, auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers als einer der letzten NS-Gegner, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht wurden.
Kevin Knor liest jetzt ein Morgengebet. Dietrich Bonhoeffer hat es zur Weihnacht 1943 im Gefängnis für seine Mitgefangenen formuliert.
Gott, zu dir rufe ich am frühen Morgen
hilf mir beten und meine Gedanken sammeln;
ich kann es nicht allein
In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht
ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht
ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe
ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden
in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld
ich verstehe deine Wege nicht,
aber du weißt den rechten Weg für mich.
Vater im Himmel,
Lob und Dank sei dir für die Ruhe der Nacht
Lob und Dank sei dir für den neuen Tag
Lob und Dank sei dir für alle deine Güte und Treue
in meinem vergangenen Leben.
Du hast mir viel Gutes erwiesen,
lass mich nun auch das Schwere aus deiner Hand hinnehmen.
Du wirst mir nicht mehr auferlegen, als ich tragen kann.
Du lässt deinen Kindern alle Dinge zum Besten dienen.
Dietrich Bonhoeffer lebte und arbeitete als evangelischer Theologe zwischen den beiden Weltkriegen. Einer Zeit, in der die Mehrzahl der evangelischen Pfarrer sich offen gegen die Weimarer Republik stellte.
Wie viele konservativ geprägte Institutionen und Personen trauerten auch die evangelischen Kirchen dem Kaiserreich nach, dem glorifizierten Preußen, in der ein Monarch gleichzeitig Oberhaupt der evangelischen Kirche war und seine schützende Hand über sie hielt.
Evangelische Pfarrer und Bischöfe konnten und wollten sich mit der parlamentarischen Demokratie nicht anfreunden. Sozialdemokraten galten – wie Kommunisten – als gott- und vaterlandslose Gesellen, die Deutsche Zentrumspartei als römisch-katholisch und vom Vatikan gesteuert. Also wählten die evangelischen Pfarrer überwiegend deutschnationale Parteien. Und predigten auch so von den Kanzeln.
Auch die quirlige Kulturszene der aufstrebenden Großstädte, vor allem in Berlin, die aufkommende Moderne in Theater, bildender Kunst, Film, Literatur – das war dem evangelischen Klerikerstand suspekt. Nicht nur aber auch, weil unter den bedeutenden Protagonisten dieses Aufbruchs viele Juden waren. Das korrespondierte mit einem bis auf Martin Luther selbst zurückreichenden und seitdem ungebrochen tradierten, theologisch begründeten christlichen Antisemitismus.
Solche Töne findet man bei Dietrich Bonhoeffer nicht. Weder antidemokratische, noch kulturpessimistische und schon gar keine judenfeindlichen Töne.
Der geschichtliche Jesus Christus ist die Kontinuität unserer Geschichte. Weil aber Jesus Christus der verheißene Messias des israelitisch- jüdischen Volkes war, darum geht die Reihe unserer Väter hinter die Erscheinung Jesu Christi zurück in das Volk Israel. Die abendländische Geschichte ist nach Gottes Willen mit dem Volk Israel unlöslich verbunden, nicht nur genetisch, sondern in echter unaufhörlicher Begegnung. Der Jude hält die Christusfrage offen. … Eine Verstoßung der Juden aus dem Abendland muss die Verstoßung Christi nach sich ziehen; denn Jesus Christus war Jude.
Bemerkenswert sind auch seine Gedanken zum Thema „Pharisäer“, einer einflussreichen religiösen Gruppierung in Israel zur Zeit Jesu.
Bis heute ist ein Pharisäer in der Alltagssprache ein Heuchler. Jemand, der Wasser predigt und heimlich Wein trinkt. Vielleicht auch: jemand, der peinlich darauf bedacht ist, jedes moralische Gebot zu erfüllen, der aber weder Gott noch die Menschen, sondern nur sich selbst liebt. Mit den historischen jüdischen Pharisäern hat das so wenig zu tun wie mit dem zeitgenössischen Judentum, die als „Pharisäer“ beschimpft werden.
Diese Gedanken Bonhoeffers finden sich – wie das eben gehörte über Jesus Christus den Juden – in den Notizen zu seiner geplanten aber nicht vollendeten Ethik.
Dem Pharisäer wird jeder Lebensaugenblick zur Konfliktsituation, in der zwischen Gutem und Bösen zu wählen hat. Um sich nicht zu verfehlen ist sein ganzes Denken angestrengt bei Tag und Nacht darauf gerichtet, die unübersehbare Fülle möglicher Konflikte im Voraus zu durchdenken, zur Entscheidung zu bringen und die eigene Wahl festzulegen. Das Leben in seiner ganzen Mannigfaltigkeit wird durchaus in die Berechnung mit einbezogen, besondere Situationen und Notlagen erfahren besondere Berücksichtigung.
Diese Männer mit dem unbestechlich sachlichen und misstrauischen Blick können keinen Menschen anders gegenübertreten, als indem sie ihn auf seine Entscheidungen in den Lebenskonflikten hin prüfen. So müssen sie – sie können nicht anders – auch Jesus gegenüber den Versuch machen, ihn in den Konflikt, in die Entzweiung hineinzutreiben, um zu sehen, wie er sich darin bewährt. … Das Entscheidende an allen diesen Auseinandersetzungen besteht nun darin, dass Jesus sich in keine einzige dieser Konfliktentscheidungen hineinziehen lässt. Mit jeder seiner Antworten lässt er den Konfliktfall einfach unter sich. Die Pharisäer und Jesus sprechen von völlig verschiedenen Ebenen. Darum gehen ihre Worte so seltsam aneinander vorbei, darum erscheinen die Antworten Jesu gar nicht als Antworten, sondern als eigene Angriffe gegen die Pharisäer, die sie auch in der Tat sind.
Ich lese aus dem Matthäus-Evangelium ein solches Aufeinandertreffen von Pharisäern mit Jesus.
Da gingen die Pharisäer hin und hielten Rat, wie sie ihn in seinen Worten fangen könnten; und sandten zu ihm ihre Jünger samt den Anhängern des Herodes. Die sprachen: „Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen. Darum sage uns, was meinst du: Ist’s recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt, oder nicht?“
Als nun Jesus ihre Bosheit merkte, sprach er:
„Ihr Heuchler, was versucht ihr mich? Zeigt mir die Steuermünze!“
Und sie reichten ihm einen Silbergroschen.
Und er sprach zu ihnen:
„Wessen Bild und Aufschrift ist das?“
Sie sprachen zu ihm:
„Des Kaisers.“
Da sprach er zu ihnen:
„So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“
Als sie das hörten, wunderten sie sich, ließen von ihm ab und gingen davon.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Diese aus dem Zusammenhang gerissene Aussage diente auch Christen, die keine Anhänger des Nationalsozialismus waren, sich aus der politischen Auseinandersetzung herauszuhalten und in eine Frömmigkeit zurückzuziehen, die keine ethischen Auswirkungen hatte. Dagegen richtete sich Bonhoeffer ganz entschieden mit seiner Forderung nach einem „religionslosen Christentum“. Diesen Geist atmet sein Glaubensbekenntnis von 1943, das bis heute in vielen Kirchengemeinden sonntags gesprochen wird.
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
so viel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Fatum ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
Amen
Wieweit ein menschliches Handeln dem göttlichen Ziel der Geschichte dient und also das Gute in der Geschichte realisiert, darüber gibt es für den Menschen keine letzte Gewissheit. Es bleibt dem verborgenen Rat Gottes vorbehalten. Während für den Ideologen die Übereinstimmung einer Tat mit der Idee den eindeutigen Maßstab über Gut und Böse abgibt, muss sich der verantwortlich »wirklichkeitsgemäß« Handelnde, der seine Tat Gott ausliefert, mit dem Glauben an die vergebende und heilende Gnade Gottes trösten. Er kann sein Recht nicht beweisen, weil ihm die lebendige Wirklichkeit keinen eindeutigen Maßstab in die Hand gibt. Vielmehr tut sich vor ihm noch ein tieferer geheimnisvollerer Abgrund auf. Gott bedient sich des Guten wie des Bösen, um zu seinem Ziel zu kommen und zwar – soweit menschliche Blicke reichen – in der Weise, dass oftmals das »Gute« zum Unheil, das »Böse« aber zum Heil wirkt. … Gott geht durch das Gute und Böse der Menschen hindurch seinen eigenen Weg. Er erweist sich als der, der allein das Gute tun will und dem jede Tat auf Zorn und Gnade hin ausgeliefert werden muss. Bedeutet das die Aufhebung des Unterschiedes zwischen Gut und Böse? Nein, aber es bedeutet, dass kein Mensch sich in seinem eigenen Guten rechtfertigen kann, da allein Gott das Gute tut. Die Macht der göttlichen Lenkung der Geschichte wirft den Menschen auf die göttliche Gnade.
Puh, ein anspruchsvoller Text. Den muss man eigentlich ein paar Mal lesen, da reicht einmal hören kaum.
Ja, Dietrich Bonhoeffer war zuerst und vor allem ein Theologe, einer, der Wissenschaft betrieb, promovierte, habilitierte, Vorlesungen hielt und Vorträge. Und natürlich wissenschaftliche Schriften verfasste. Dieser Text stammt aus seiner „Ethik“. Aus dem Schreiben heraus wurde er 1943 verhaftet. Was wir heute lesen können, sind seine zwar weitgediehenen, aber unvollendeten Manuskripte und Notizen zu diesem Buch.
Der Wissenschaftler Bonhoeffer ist weniger bekannt. Außer in Fachkreisen, also der Theologenzunft. Er gilt als „unvollendeter“ Theologe. Widerstand, Gefangenschaft und Tod haben sein wissenschaftliches Arbeiten behindert und unterbrochen.
Nur ein paar Stichworte zu seiner Theologie.
Bonhoeffer wollte das Christentum wieder auf das Handeln ausrichten, aufs Tun. Deshalb war ihm die Ethik so wichtig. Glaube, der nichts tut, ist wertlos. So will ich das mal verkürzen.
„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Hat er mal salopp gesagt.
Gregorianisch Singen – die religiösen Formen waren ihm kein Selbstzweck, die fromme Erbauung, das religiöse Gefühl – das war ihm suspekt. Er war sich da mit Karl Barth einig, einem anderen bedeutenden Theologen seiner Zeit. In seiner Haftzeit dachte er dann über ein neues, modernes Christentum nach. Ein religionsloses sollte es sein.
Eine Religion ohne Religion? Heute klingt das in unseren Ohren befremdlich.
Wir leben in einer Zeit, in der die Religiosität allgegenwärtig ist, Meditation, Innerlichkeit, Mystik. Die Renaissance der Religion dauert schon etliche Jahrzehnte an.
Für Bonhoeffer ist Gott nicht mehr im Jenseits, in einer anderen Welt – und sei sie auch in mir innen drin – zu finden. Sondern nur im Tun des Guten, Richtigen, Vernünftigen – mit allem Risiko, sich zu „ver-tun“.
Bonhoeffer hat trotz seinem Unvollendetsein als Theologe sehr gewirkt: viele berufen sich auf ihn, vor allem in Lateinamerika, Südafrika. Ein Theologe des Widerstands. Ein Argumentationshelfer für die lateinamerikanische Befreiungstheologie zum Beispiel.
Ob er damit glücklich geworden wäre? Als Stichwortgeber zu diesen politischen Christen, seine Texte als Steinbruch? Das ist Spekulation; aber folgender Text zeigt, wie differenziert sein Denken war. Unter den Dachziegeln des Elternhauses von Dietrich Bonhoeffer in Berlin überdauerte dieser Text den Krieg. Er gehört zum Rechenschaftsbericht „Nach zehn Jahren“, mit dem sich Dietrich Bonhoeffer zu Weihnachten 1942, kurz vor seiner Inhaftierung, an die Mitverschwörer im Amt Abwehr, an seine Eltern und an den Freund Eberhard Bethge wandte. Eine Art Resümee der Erfahrungen im Widerstand gegen Hitler.
Bonhoeffer plädiert für einen Perspektivwechsel, für den „Blick von unten“ – bleibt dort aber nicht stehen.
Es bleibt ein Erlebnis von unvergleichlichem Wert, dass wir die großen Ereignisse der Weltgeschichte einmal von unten, aus der Perspektive der Ausgeschalteten, Beargwöhnten, Schlechtbehandelten, Machtlosen, Unterdrückten und Verhöhnten, kurz der Leidenden, sehen gelernt haben.
Wenn nur in dieser Zeit nicht Bitterkeit oder Neid das Herz zerfressen hat, dass wir Großes und Kleines, Glück und Unglück, Stärke und Schwäche mit neuen Augen ansehen, dass unser Blick für Größe, Menschlichkeit, Recht und Barmherzigkeit klarer, freier, unbestechlicher geworden ist, ja, dass das persönliche Leiden ein tauglicherer Schlüssel, ein fruchtbareres Prinzip zur betrachtenden und tätigen Erschließung der Welt ist als persönliches Glück.
Es kommt nur darauf an, dass diese Perspektive von unten nicht zur Parteinahme für die ewig Unzufriedenen wird, sondern dass wir aus einer höheren Zufriedenheit, die eigentlich jenseits von unten und oben begründet ist, dem Leben in allen seinen Dimensionen gerecht werden, und es so bejahen.
Heute gibt es wieder Bösewichter und Heilige, und zwar in aller Öffentlichkeit.
Der Bösewicht und der Heilige aber haben wenig oder nichts mit ethischen Programmen zu tun, sie steigen aus Urgründen empor, sie reißen mit ihrem Erscheinen den höllischen und den göttlichen Abgrund auf, aus dem sie kommen und lassen uns in nie geahnte Geheimnisse kurze Blicke tun.
Schlimmer als die böse Tat ist das Böse-sein.
Schlimmer ist es, wenn ein Lügner die Wahrheit sagt, als wenn ein Liebhaber der Wahrheit lügt, schlimmer wenn ein Menschenhasser Bruderliebe übt als wenn ein Liebhaber der Menschen einmal vom Hass überwältigt wird.
Besser als die Wahrheit im Munde des Lügners ist noch die Lüge, besser als die Tat der Bruderliebe des Menschenfeindes ist der Hass.
Es ist also nicht die eine Sünde wie die andere. Sie haben verschiedenes Gewicht. Es gibt schwerere und leichtere Sünde. Der Abfall wiegt unendlich viel schwerer als der Fall. Die glänzendsten Tugenden des Abgefallenen sind nachtschwarz gegen die dunkelsten Schwächen der Treuen.
Dieser Text ist auch aus seiner „Ethik“, und er enthält einige berühmte Zitate, die populär geworden sind – obwohl sie zu einem wissenschaftlichen Manuskript gehören.
Bonhoeffer hatte – wie fast alle Theologen – Skrupel, sich aktiv am Widerstand gegen Hitler zu beteiligen; obwohl er – wie einige evangelische Pfarrer – kein Problem damit hatte, die Einflussnahme Hitlers auf die Organisation Kirche abzuwehren.
Doch Bonhoeffer ging mehrere entscheidende Schritte weiter. Andere engagierte Christen und vor allem „Berufs-Christen“ sprich Pfarrer sagten: „Widerstand gegen Hitler – nie und nimmer!“
Bonhoeffer sagte: Schlimmer als die böse Tat ist das Böse-sein.
Hitler und sein System sind böse. Und das ist schlimmer als die böse Tat gegen dieses Böse-Sein. Also darf, ja muss ein Christ Widerstand leisten. Und in letzter Konsequenz kann man so den Tyrannenmord, konkret: den Mordanschlag auf Adolf Hitler ethisch rechtfertigen – genau das macht Bonhoeffer. Allerdings nicht nur theoretisch, sondern auf Drängen seines Schwagers auch praktisch. Beide haben es mit dem Leben bezahlt.
Noch im Gefängnis wählt er ein eindrückliches Gleichnis für sein Verhalten:
Ein Autofahrer, der über den Berliner Kudamm rast und Menschen umfährt – dem greife ich doch, wenn ich Gelegenheit dazu habe, ins Lenkrad. Und betrauere nicht nur die Toten und Verletzten und tröste die Angehörigen. Ein drastisches Bild für das Verhalten vieler Pfarrer in der NS-Zeit.
Mehr als bemerkenswert ist auch, dass Dietrich Bonhoeffer zu den wenigen Theologen gehört, die klar Antisemitismus innerhalb der Kirche benennen. Jesus war Jude, die Juden sind Gottes auserwähltes Volk, niemand darf Hand an sie legen und wir Christen müssen uns neben und wenn‘s sein muss vor sie stellen.
Das steht inzwischen in der Ordnung der evangelischen Kirche im Rheinland, zu der wir hier im Saarland gehören.
Bonhoeffer selbst hat seinen klaren Widerstand übrigens nicht nur mit dem Leben sondern auch mit seinem guten Ruf bezahlt. Unvorstellbar heute: wegen der Beteiligung am Attentat auf Adolf Hitler galt er in der Kirche der frühen Nachkriegszeit als Mann, der eine Grenze überschritten hat und deshalb zurecht im Gefängnis gelandet war. Erst 1996 wurde das Urteil gegen ihn aufgehoben – auf Betreiben evangelischer Theologiestudenten anlässlich seines 90. Geburtstages.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig lächelnd und stolz,
wie einer, der Siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!
Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis hat das geschrieben. Eine bewegende, ja erschütternde Selbstbefragung. Radikal ehrlich, schonungslos. 1944. Alle Hoffnungen, freizukommen, Familie und Freunde wiederzusehen, seine Verlobte Maria von Wedemeyer endlich ohne Bewacher umarmen zu können, waren dahin.
Einen Befreiungsversuch hatte er abgelehnt; alles war vorbereitet, es hätte funktioniert – zu gefährlich für seine Angehörigen, die dann Hitlers Zorn gnadenlos zu spüren bekommen hätten.
Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis, das sind v.a. seine Briefe an die 18 Jahre jüngere Verlobte. Sie wurde ihm immer wichtiger, die „Quelle seiner Kraft“. Der Kontakt zu ihr angesichts Gefängnismauern, Zensur der Briefe zu halten, wurde Jahr für Jahr schwieriger.
Die Briefe blieben unter Verschluss bis 2002, 15 Jahre bzw. Erst 25 Jahre nach Maria von Wedemeyer’s Tod, 1977 wurden die Briefe in Schüben veröffentlicht.
Sie zeigen den Mann Bonhoeffer, den Mann, der um die Braut kämpft, die er zum ersten Mal unter den Augen der Gestapo-Bewacher küssen konnte.
Sie zeigen, wie er seine Theologie, die ihn im Gefängnis ausharren lässt und ihn ins Martyrium führte, leidenschaftlich und manchmal verzweifelt erklärt, um sich ihr, Maria, verständlich zu machen.
Daneben stehen rührende Pläne für die Hochzeit, die Hochzeitsreise und die Zeit danach.
Der Text „Von guten Mächten“ ist übrigens eigentlich ein Weihnachtsgruß an sie, sein letzter von ihm erhaltener theologischer Text vor seinem Tod im KZ Flossenbürg wenige Tage vor Kriegsende am 9. April 1945.
Und mit diesem Lied, gesungen von Marcel Adam, verabschiede ich mich von Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer.
Bleiben Sie behütet!