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Die Wahrheit wird Euch frei machen

Die Ehefrau begrüßt mich an der Tür. „Gut, dass Sie kommen, er weiß ja gar nicht, was er hat. Kommen Sie, wir müssen ihm jetzt langsam wohl doch mal was sagen”, sagt die Frau und drängt mich schnell ins Krankenzimmer. Da liegt ihr Mann. Sichtlich schwach und krank. “Guten Tag, ich wusste ja gar nicht, wie schwer krank Sie sind. Gut, dass Ihre Frau mich angerufen hat”, begrüße ich den Mann. “Na, wie krank ich bin – das weiß ja nur Gott, der hat alles in der Hand“, antwortet der Mann sehr wach und sehr direkt. Ich lächle und nehme seine Hand: „Alle sind gekommen, ihre Familie macht sich große Sorgen”, sage ich. Er antwortet: “Können Sie denen nicht sagen, dass Gott das schon macht? Das reicht doch. Dann können wir alle hier viel leichter erzählen.” Dabei lächelt er seinen Sohn an und zwinkert mit dem Auge.Ich habe den Eindruck, dass der Mann sehr wohl weiß, wie es um ihn steht. Auch ohne, dass ihm jemand die Wahrheit gesagt hat.

„Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen”. Das hat Jesus mal gesagt. Gerade in der Seelsorge an kranken Menschen ist mir dieser Satz sehr wichtig. Bisher habe diese Verheißung immer im Herzen getragen, um daraus selbst den Mut zu schöpfen, die Wahrheit auszusprechen. Meine Erfahrung hat mich bisher gelehrt, dass ich gerade da, wo es ernst wird, um Lebensbegrenzung geht, um die Wahrheit nicht drum rum komme. Aber am Bett des alten Mannes, der so voller Gottvertrauen ist, lerne ich etwas Neues. Es ist still im Zimmer und ich frage: „Möchten Sie denn wissen, was Sie so schwach macht, warum Sie kaum noch aufstehen können?“ Klar und sehr direkt sagt der Mann: „Nein, dann hätte ich den Arzt bestellt. Wissen Sie, jetzt kommt es wirklich darauf an, dass wir uns alle auf Gott verlassen. Mir reicht das so.“

„Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.” Der Mann wirkt auf mich befreit. So, als ob er für sich eine Wahrheit erkannt hätte. Keine allgemeingültige Wahrheit in dem Sinne wie eins plus eins zwei ist, sondern eine Wahrheit, die ihn ganz persönlich frei macht. Nach Vater Unser und einem Segen verabschiede ich mich schließlich von dem Mann und seiner Familie. Ich gehe in der tiefen Gewissheit, dass Jesus wusste, was er gesagt hat. Wie verschieden diese Wahrheit sein kann und wie befreiend!