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Die schwere Schulter

Corona-Leine, Home-Office, Homeschooling, FFP2 oder OP-Maskenpflicht …. ich gebe zu: Ich bin genervt von Corona. Richtig genervt. Von den Regeln, von den Angaben, wie lang das noch dauern wird, von den Mutationen – einfach genervt. Und das merkt man mittlerweile offenbar auch. Zumindest tut dies ein Bekannter, den ich zufällig beim Einkaufen treffe. Wir unterhalten uns ein bisschen. Natürlich über DAS Thema der letzten Monate.

„Tja, außer Hygiene und weniger Kontakten kannste da sowieso nichts machen“, sagt der Bekannte zu mir. „Take it easy!“

Hmmm, take it easy, nimms leicht – die Worte gehen mir noch im Kopf rum, als in vom Einkaufen längst wieder zuhause bin. Ich muss an ein Gedicht denken. Ein Gedicht der jüdischen Dichterin Mascha Kaleko. Ein Gedicht mit genau diesem Titel: „Take it easy“. Die Strophen eins und zwei lauten:

Tehk it ih-si, sagen sie dir.
Noch dazu auf englisch.
„Nimm’s auf die leichte Schulter!“

Doch, du hast zwei.
Nimm’s auf die leichte.

Es ist sicher ein gut gemeinter Ratschlag, etwas auf die leichte Schulter zu nehmen. Aber – wenn man das konsequent zu Ende denkt, dann bedeutet das doch: Die Last auf der vermeintlich leichten Schulter wird immer größer. Denn es gibt ja so Vieles, das man lieber auf die leichte Schulter nehmen sollte oder nehmen möchte. So Vieles, das einem sonst den Schlaf zu rauben droht. Nochmal Mascha Kaleko dichtet weiter:

Ich folgte diesem populären
Humanitären Imperativ.
Und wurde schief.
Weil es die andre Schulter
Auch noch gibt.

Man muß sich also leider doch bequemen,
Es manchmal auf die schwerere zu nehmen.

Etwas auf die schwere Schulter zu nehmen – das ist ja paradoxerweise oft viel leichter als es auf die leichte Schulter zu nehmen. Aber was ist, wenn das vielleicht gar nicht so schlecht ist? Wenn es sogar gut sein kann, etwas auf die schwere Schulter zu nehmen? Nicht alles natürlich, aber doch manches – eben, damit man am Ende nicht schief wird.

Ich denke, wichtig ist dabei, dass man seinen Frust, sein Genervt-Sein, seine Angst oder was für ein negatives Gefühl auch immer, nicht herunterschluckt, sondern dass man es rauslässt. Das bedeutet nicht – nur, dass wir uns da nicht missverstehen – dass man anfängt, Menschen zu beleidigen, zu beschimpfen oder gar zu bedrohen: Politiker und Virologen stehen dabei ja zur Zeit in der vordersten Schusslinie. Nein, es bedeutet, über das zu sprechen, was einen beschäftigt. Und jemandem auch mal sein Leid zu klagen. Wir sind Menschen und wir haben Gefühle – positive wie negative – und wir haben zwei Schultern. Eine leichte und eine schwere. Und ja, wir dürfen, ja müssen vielleicht sogar manches auch auf die schwere Schulter nehmen und anderen unser Leid auch mal klagen. Und wenn wir keinen Menschen kennen, bei dem wir das tun können und möchten – dann können wir immer noch bei Gott klagen. Ein anderer jüdischer Dichter hat das vor mehr als 2000 Jahren so gedichtet.

Sei nicht ferne von mir, HERR, denn Angst ist nahe;
Gewaltige Stiere haben mich umgeben, mächtige Büffel haben mich umringt.
Ihren Rachen sperren sie gegen mich auf wie ein brüllender und reißender Löwe.
Errette mein Leben, HERR, hilf mir aus dem Rachen des Löwen. (aus Ps 22)

Wenn wir klagen, dann stehen wir also in guter Gesellschaft. Deshalb: Achten Sie auf Ihre Haltung und nehmen Sie nicht alles auf die leichte Schulter.