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Die Macht des Wortes

Vor kurzem habe ich abends neben meinem zweieinhalbjährigen Kind im Bett gelegen. Wir haben zusammen noch ein Buch angesehen. „Mama? Hirs!“ sagt er ganz aufgeregt. „Ja, ein Hirsch!“ antworte ich. Ich lächle, weil ich dieses Wort noch gar nicht lange von ihm höre. Jeden Tag merke ich, wie sehr sich mein Kind anstrengt, neue Wörter zu lernen.

Ganz besonders berührend finde ich die Momente, wenn er ein neues Wort benutzt und mir ansieht, dass ich ihn verstehe. Ich sehe in seinem Gesicht, wie stolz er dann ist. Dieser kleine Mensch merkt jeden einzelnen Tag, wie wichtig und mächtig Wörter und Sprache sind. Dass sie notwendig sind, um im Alltag zurecht zu kommen.

Ich kenne einige Bücher und Filme, in denen es darum geht wie mächtig Worte sind. Zum Beispiel Fantasybücher, wie Eragon oder Harry Potter. Magie funktioniert in solchen Büchern oft nur, wenn jemand die richtigen Worte beherrscht. So wie Hermine in „Harry Potter und der Stein der Weisen“. Sie korrigiert besserwisserisch einen anderen Schüler bei einem Zauberspruch: „Es heißt LeviOOOsa, nicht LeviosAAAA.“ Nur bei der richtigen Betonung wirkt die Macht dieses Wortes – da hat sie schon recht.

Aber nicht nur in Fantasybüchern spielt die Macht der Worte eine wichtige Rolle. Ich spüre das ganz real in meinem Alltag. Wie bei meinem Kind.

Ich sehe es außerdem in den Nachrichten und in den Talkshows im Fernsehen. Die Macht des Wortes. Wer kann geschickter dem andern die Worte verdrehen oder Missverständnisse provozieren? Wer kann besser ein Wort auf die Goldwaage legen?

Es gibt unzählige Beispiele aus politischen und gesellschaftlichen Debatten, wo Worte benutzt werden, um bestimmte Menschen zu diffamieren oder zu manipulieren.

Wenn zum Beispiel ein paar Politiker*innen Flüchtlinge und Schutzsuchende als „Sozialtouristen“ oder schlimmeres beschimpfen. Solche Worte und die Forderungen dahinter machen mir richtig Angst. Und sie machen mich unfassbar wütend. Weil dahinter Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung und Rassismus stecken.

Worte haben Macht. Denn Worte erzeugen Bilder, Gefühle, Stimmung.

Worte können spalten und Hass säen.

Aber ich kenne auch andere Worte. Mutmachende oder befreiende zum Beispiel. Wenn mein Mann mir sagt, dass er mich liebt.

Wenn meine Mama mir sagt, sie unterstützt mich.

Als Christin und Pfarrerin machen mir die Worte von einigen Kolleg*innen Mut.

Quinton Caesar zum Beispiel, der gepredigt hat: Gott ist queer.

So viele Worte gehen mir ans Herz und in den Kopf. Geben mir Kraft und machen mich stark.

Worte haben Macht.

Auch in der Bibel geht sehr oft um die Macht des Wortes. An einer Stelle heißt es: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“

Für mich bedeutet das: Gottes Wort ist das pure Leben.

Gottes Wort hat die Fähigkeit, ist die Fähigkeit, Dinge zu erschaffen zum Leben. Licht und Wasser und Berge, Tiere und Pflanzen und Fische, Vögel und Menschen. Alle Menschen!

Gottes Wort ist mächtiger als jedes menschliche.

Ich kann es manchmal hören. Aber oft nur ganz, ganz leise. Ich finde, Gottes Worte sind viel leiser als die, die wir als Menschen benutzen.

Manche Menschen reden extra laut, um wichtiger und mächtiger zu erscheinen. Dabei täte es doch oft besser, zu schweigen und genau hinzuhören.

Auf die leisen Worte. Die leisen, die Mut machen – nicht auf die lauten, die Angst verbreiten. Die leisen, die Frieden und Gerechtigkeit fordern.

Worte haben Macht. Das sollte niemand jemals vergessen.