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Die Kerze

Eine Kerze brennt auf meinem Schreibtisch. Sie erinnert mich an die Kerze, die ich neulich in einer Kirche angezündet habe. Zusammen mit vielen anderen hat sie in einer Nische gebrannt. Das warme Flackern der vielen kleinen Flämmchen fand ich sehr beruhigend. In dem sonst so weitläufigen Kirchraum, haben sie einen Ort der Besinnlichkeit und der Stille geschaffen. Beim Betrachten der Lichter wurde mir klar, dass jedes davon für einen Menschen steht, der hier war und es aus einem bestimmten Grund angezündet hat. Vielleicht als ein stilles Gebet, vielleicht aus Sorge, vielleicht aus Dankbarkeit, vielleicht aus Verzweiflung oder als eine Erinnerung.

Eine brennende Kerze drückt aus, was ich nicht in Worte fassen kann, was mir aber auf der Seele liegt. Der Anblick der warmen Flamme erinnert mich daran, dass Gott weiß, wie es in mir aussieht. In Psalm 139 heißt es: „Noch ehe ein Wort auf meine Zunge kommt, hast du, Herr, es schon gehört.“ Ich stelle mir vor, dass das so ähnlich ist wie zwischen meiner Frau und mir. Sie sieht mir an der Nasenspitze an, wenn mich etwas belastet. Und es tut mir gut, wenn sie dann nicht erst fragt, was los ist, sondern mich direkt in den Arm nimmt. Mit alldem, was mich beschäftigt, fühle ich mich dann gut aufgehoben und kann meine Sorgen ein Stück loslassen. Bei der Kerze, die ich in der Kirche angezündet habe, war das auch so. Ich wusste genau, für wen die Kerze leuchten sollte. Ich wusste: Solange sie zwischen den anderen Lichtern in der kleinen Nische der Kirche brennt, trägt sie mein Gebet in sich. Als ich die Kirche verlassen habe, war da ein Gefühl der Erleichterung in mir.

Mittlerweile ist die Kerze schon lange erloschen. Wahrscheinlich brennt an der Stelle, wo meine Kerze stand, längst eine andere. Deshalb habe ich die Idee mit dem Kerzenanzünden nun auch zu Hause ausprobiert. Wenn mir wieder so viel auf der Seele brennt, entzünde ich eine Kerze, vertraue alles ihrer kleinen warmen Flamme an. Ein wortloses Gebet, das auf meinem Schreibtisch steht.