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„Die Frankreich-Strategie“

Die Geschichte des Saarlandes hat nicht erst 1957 begonnen in Schwarz-rot-gold, sondern schon 10 Jahre zuvor in Blau-weiß-rot: sein Geburtsdatum war gestern vor 70 Jahren! Am 15. 12. 1947 nämlich hatte sich der neu gewählte Land-tag nach Verabschiedung der Verfassung feierlich konstituiert. Aus dem bis dahin französischen Besatzungsgebiet wurde ein quasi-autonomes Land, allerdings mit wirtschaftlichem Anschluss an Frankreich, der sogar Verfassungsrang hatte! Aber die Saarländerinnen und Saarländer hatten so zum ersten Mal in ihrer Geschichte ihre Volksvertretung frei wählen können. Danach begann im Saarland sozusagen die Zeit einer „Demokratie unter pädagogischem Vorbehalt“  Frankreichs! Es war die Zeit eigener Saarbriefmarken , die ich damals leidenschaftlich gesammelt habe, eigener Saar-Währung, eigener Fußball-Nationalmannschaft. Auf sie war ich als Kind 1954 ebenso stolz wie auf die erfolgreiche Olympia-Teilnahme zwei Jahre zuvor.

Zur Strategie französischer Kulturpolitik gehörte aber in meiner Volksschulzeit auch die Einführung obligatorischen Französisch-Unterrichts; ebenso die Gründung einer Saar-Universität und von Radio Saarbrücken, dem Vorläufer des SR. Durch die Angleichung an die französische Sozial- und Familienpolitik ging es den Saarländerinnen und Saarländern auch finanziell besser als den Bundesdeutschen. Dies alles sollte die Trennung von Deutschland stärker verankern ! Die Kehrseite der Medaille war das Demokratie –Defizit in Gestalt der Pressezensur und Telefonüberwachung, der Nichtzulassung oppositioneller  Parteien, der Entlassungen politisch missliebiger Staatsbediensteter oder gar der Ausweisungen.

Das wirkte sich natürlich entsprechend bei dem Ergebnis der Volksabstimmung 1955 aus! Fatal war in diesem Zusammen-hang  – wie übrigens schon in den 20er Jahren – die französische Religionspolitik : der Hohe Kommissar Gilbert Grandval erkannte zwar die große politische Bedeutung der religiösen Frage, unterschätzte aber den erbitterten Widerstand beider Kirchen gegen den Versuch der Gründung einer eigenständigen Saar-Kirche. So erklärte der Trierer Bischof Bornewasser eine Loslösung von der Mutterkirche in mehreren Hirtenbriefen als nicht mit dem christlichen Gewissen vereinbar. Und der damalige Superintendent des Kirchenkreises Saarbrücken, Otto Wehr stellte als ‚Bevollmächtigter der Ev. Kirche im Rheinland für das Saarland‘ fest: „Die kirchliche Lostrennung des Saargebiets würde einen  Neuen Kirchenkampf heraufbeschwören, den ich wie zur Zeit des Dritten Reiches führen würde!“ Die Stellungnahme beider Kirchen zur Abstimmung über das Saar-Statut war von daher natürlich ein klares NEIN! Sie erklärten sie zur Gewissensfrage und zur Frage „unserer Verantwortung vor Gott“ und dem deutschen Vaterland. So haben die Kirchen im politischen Kräfteringen damals eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt.

70 Jahre danach brauchen wir keine Berührungsängste mit der Zeit vor 1957 mehr zu haben, hat sich doch aus der schwierigen Grenzlandrolle zwischen Konflikt und Kooperation im Saarland eine ganz neue ‚Frankreich-Strategie‘ als europäische Kompetenz in Kultur und Politik, in Kirche und Gesellschaft entwickelt. Das Saarland kann diesen Erfahrungshorizont seiner Geschichte, der um den Preis tiefer politischer Zerrissenheit erworben wurde, in die heutigen Probleme Europas einbringen – oder wie es der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker schon 1984 bei seinem Besuch im Saarland betont hat: „Die Saarländer leben uns vor, wie man gleichzeitig ein guter Saarländer, ein guter Deutscher, ein guter Europäer und ein guter Nachbar sein kann!“