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„Die, die über den Horizont hinausblicken“

„Papa, warum gehen die Leute am Sonntag eigentlich in die Kirche?“ „Weil sie
Gottesdienst feiern wollen!“ „Was ist ein Gottesdienst?“ „Da singen und beten die
Menschen!“ „Warum?“ „Weil sie Christen sind!“ Papa, was sind denn Christen?“

Kinder können sehr hartnäckig sein. In ihrem Wunsch, die Welt besser verstehen zu
wollen, stellen sie oft messerscharfe Fragen. Gar nicht so einfach, darauf eine
verständliche Antwort zu finden. Was sind denn Christen? Was machen sie? Außer,
dass manche von ihnen am Sonntag in die Kirche gehen? Was macht einen Christen
aus?

Vor vielen Jahren war auch ein Missionar herausgefordert, den Menschen in einem
kleinen afrikanischen Dorf darauf eine Antwort zu geben. Deshalb hat er zunächst
die Sprache ihres Stammes gelernt und versucht, den Dorfbewohnern die
Geschichten der Bibel zu übersetzen. Eine echte Herausforderung, denn viele
Begriffe der Bibel gab es nicht in der Stammessprache. Um zum Beispiel von einem
Fischer zu reden, musste er dessen Beruf umschreiben: der, der auf dem See die
Fische fängt. Der Ausdruck für Hirte war: der, der bei den Tieren Wache hält. Und
so weiter. Wie aber sollte der Missionar nun den Menschen erklären, was ein Christ
ist. Lange hat er überlegt und doch keine Lösung gefunden. Bis sich eines Tages ein
muslimischer Kaufmann in das Dorf am Ende der Welt verirrt hat. Der Missionar hat
ihn gastfreundlich aufgenommen, und sie unterhielten sich oft und lange über Gott
und die Welt. Der Kaufmann war beeindruckt, was der Missionar in diesem
entlegenen Winkel der Erde alles auf die Beine gestellt hatte. Beim Abschied hat er
ihm deshalb anerkennend auf die Schulter geklopft und gesagt: „Ihr Christen seid
wahrhaftig die, die über den Horizont hinausblicken.“ Da war er, der Begriff, den
der Missionar so lange gesucht hatte.
Ist es nicht erstaunlich, dachte der Missionar, dass ausgerechnet dieser Kaufmann,
jemand von „außen“, die Christen so treffend beschreiben konnte?!
Vielleicht braucht es gerade diesen Abstand, diese Draufsicht, um genau erfassen
zu können, was das Charakteristische der Christen ist.
Schließlich hätte der Kaufmann auch ganz andere Dinge benennen können. Christen
sind die, die ein Kreuz anbeten zum Beispiel. Doch scheinbar hatte er bei ihnen
mehr wahrgenommen. Etwas, das über stumpfe Rituale hinausgeht. Einen Blick auf
die Welt, den er nur bei ihnen in dieser Form kennengelernt hat. Deshalb hat er
gesagt: Ein Christ ist einer, der über den Horizont hinausblickt. Eine tolle
Umschreibung, wie ich finde. Sie bringt den christlichen Glauben so einfach und
doch so präzise auf den Punkt.

Für Christen hört nicht am Ende des Horizontes alles auf. Da gibt es die Hoffnung,
dass da noch mehr ist, als wir mit menschlichen Augen sehen können. Die Hoffnung
auf einen Gott, der uns im Leben begleitet, auch wenn wir ihn nicht sehen können.
Der Höhen und Tiefen mit uns durchlebt. Der Glaube an Jesus von Nazareth, der
uns gezeigt hat, wie wir menschenwürdig miteinander umgehen sollen, damit diese
Welt ein Ort wird, wo man Gottes Gegenwart schon jetzt spüren kann. Und da ist
schließlich noch die Zusage, dass – eines Tages – unser Leben auch hinter dem
Horizont weitergehen wird, selbst wenn wir gestorben sind.
„Hinterm Horizont geht’s weiter. Ein neuer Tag.“ heißt es in einem bekannten
Popsong. Und genau darum geht’s. Ein Christ ist ja einer, der über den Horizont
hinausblickt und dort einen neuen Tag erblickt. Er sieht eine Zukunft. Seine
Hoffnung reicht weiter, als der menschliche Verstand ihm glauben machen will.
Dank dieser Hoffnung erscheint für die Christen die Welt in einem neuen Licht. Im
Licht der Hoffnung auf das „Mehr im Leben“, das wir dank Gott erwarten dürfen.