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Die Beichte im Zug

„Meine Freundin hat sich getrennt. Sie ist ausgezogen.“ Sehr deutlich ist der junge Mann ein paar Sitzreihen vor mir zu verstehen. Denn im Zug ist es mucksmäuschenstill geworden. Eben war noch Gemurmel, Gespräche hier, ein Lachen da. „Du glaubst nicht, wie weh das tut“, sagt er in sein Telefon. Er merkt gar nicht, dass alle mithören. Normal nervt mich das, wenn andere per Telefon ihre Belanglosigkeiten mitteilen, ob per Anruf oder Sprachnachricht. Aber hier ist das anders. Und das haben auch die Mitfahrenden im Wagen gemerkt. Alle hören zu. Irgendwie ist es ja auch spannend, fast wie im Reality-TV.

„Natürlich hab ich versucht, nochmal mit ihr zu reden!“ Dabei weint er fast. Im Verlauf des Gesprächs erzählt er, wie sie sich kennengelernt haben. „Sie war meine große Liebe. Und nun soll alles vorbei sein?“ Er spricht auch von den Missverständnissen und wo sie aneinander vorbeigeredet haben. Wie ein Seelsorgegespräch, denke ich mir. Offensichtlich hat er jemanden am anderen Ende, der gut zuhören kann.

Das geht noch eine ganze Weile so. Er spricht in sein Telefon, man merkt, dass der andere auch mal Zwischenfragen stellt. Und er schüttet sein ganzes Herz aus.

Inzwischen hat der Zug schon zweimal gehalten. Bei der nächsten Haltestelle muss der junge Mann aussteigen und er beendet kurz davor sein Telefonat. „Danke, dass ich mich bei dir ausheulen konnte!“ Und schon ist er verschwunden. Im Wagen wird es wieder lauter, hier ein Murmeln, da ein Lachen sind zu hören.

Auch wenn die Situation schon etwas schräg war, aber ich wünsche jedem von uns so einen Menschen, der zuhört, wenn wir es nötig haben.