Beiträge

Die andere Wange hinhalten

In diesen Wochen des Kriegs in der Ukraine geht es auch um die Frage: In wie weit dürfen, sollen, müssen sich die Menschen in der Ukraine mit Gewalt gegen den Angriff Russlands verteidigen?

In den Diskussionen kommt auch ein Wort von Jesus aus der Bergpredigt auf: „Wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, dem biete die andere auch dar.“ (Mt 5, 39). Wenn nicht näher hingeschaut wird, bleibt soz. als empfohlene Haltung stehen: sich nicht wehren, geduldig und passiv gewalttätige Übergriffe ertragen. Daraus wird gerade für die Kirchen abgeleitet, sich grundsätzlich gegen jede Form von Gewalt aussprechen zu müssen. Aber schauen wir genauer hin: Als Jesus das sagte, waren die römischen Besatzer die Herren im Land. Dazu kommt gängiges Verhalten: So nahm sich der Sklavenhalter das Recht raus, seinen Sklaven, der Herr seinen Knecht ins Gesicht zu schlagen. Es tat weh – körperlich und es war demütigend. Schließlich konnte sich der Knecht oder Sklave nicht wehren. Auch römische Offiziere schlugen ihren Soldaten ins Gesicht. Jesus beschreibt diesen Schlag sehr konkret: Ein Rechtshänder schlägt mit dem Handrücken auf die rechte Wange seines Gegenübers. Damit stellt Jesus die beiden Seiten des gewalttätigen Übergriffes vor Augen: die psychische und physische. Es ist leider ein alltäglicher Machtmissbrauch in der damaligen Gesellschaft. Wie kann sich ein Soldat, Sklave oder jemand gegen die Besatzer überhaupt gegen solche Übergriffe wehren? Die Antwort Jesu: Halte auch die andere, die linke Wange, hin! – Damit führt der vermeintlich Schwächere mutig den Aggressor vor und macht dessen Unrecht und Fehlverhalten sichtbar. – Das ist für mich alles andere als ein passives Erdulden. Der Geschlagene zeigt seine moralische Größe, die den Gewalttätigen beschämt und den unterdrückten Menschen in seiner Würde bestärkt. Es ist zugleich das Ausschöpfen der damaligen Mittel des Widerstandes gegen das Unrecht der Mächtigen. Das Hinhalten der anderen Wange kann helfen, dass die Gewaltspirale nicht eskaliert. Aber ein gewaltloser Widerstand kann auch an seine Grenzen kommen. Neben dem Einsatz der Kirchen für den Frieden, sagt: „Halte die andere Wange hin“: Es geht Jesus gerade nicht um ein passives Erdulden, sondern auch darum, Widerstand zu leisten und sich wehren zu dürfen.

 

Sie können das Video zum Beitrag unter der folgenden Adresse anschauen:

https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=116087