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Der Sündenbock?

Judas Ischariot, der Sündenbock! Kaum ein biblischer Name, der so negativ belegt ist. Darin sind sich Menschen unterschiedlichen Glaubens einig. Alle verurteilen diesen Mann.  Dessen Name bis heute als Schimpfwort herhalten muss: „Du Judas!“

Schon in den biblischen Berufungsgeschichten der Jünger wird er als Verräter bezeichnet. Und so hat er sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Das geht so weit, dass der Vorname Judas in Deutschland zu den Namen gehört, die dem Kindswohl zuwiderlaufen, weil er als Herabwürdigung verstanden werden kann. Manche Standesämter verweigern aus dem Grund den Eintrag ins Namensregister.

Aber wer war dieser Judas tatsächlich? Ich suche in den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas und finde nicht viel. Eines ist sicher: Er hatte eine hervorgehobene Stellung. Wie alle 12 Apostel. Und er wurde dieser Aufgabe wohl auch gerecht. Hat wie die übrigen heilsam gewirkt. Jesus hatte sie dazu aufgefordert. Abgesehen von seiner Berufung und seinem Verrat kein negatives Wort über ihn. Über andere ließe sich da mehr berichten. Über das Brüderpaar, Jakobus und Johannes etwa.  Von denen wird ausdrücklich erzählt. Über ihre Versuche, eine besondere Rolle innerhalb der Jüngerschaft zu erschleichen. Jesus erkennt ihre Absichten und weist sie zurück. Über Judas lese ich in der Art nichts. Jedenfalls nichts in den drei älteren Evangelien.

Um mein abwertendes Urteil über seine Person zu bekräftigen, nehme ich also besser den Evangelisten Johannes zur Hand. Der nennt Judas als Verwalter der Finanzen. Damit kann ich was anfangen. Finanzverwalter. Dass Judas die Gelder veruntreut – wen wundert es? Er nimmt doch auch Geld für seinen Verrat gerne an. Und nach dem Johannesevangelium ist er auch der einzige, der es kritisiert, dass Jesus von einer Frau mit teurem Öl gesalbt wird. Laut Judas hätte die Frau das Öl lieber verkaufen sollen zugunsten der Armen. Dabei geht es Judas in Wahrheit um etwas ganz Anderes: Mit dem Geld aus dem Verkauf des Öls hätte er verschleiern können, dass Geld in der Kasse der Jünger fehlt. Geld, das er, Judas, heimlich für sich beiseite geschafft hatte.

So deutlich beschreibt Evangelist Johannes, dass Judas kriminelle Energie in sich trägt. Überall, wo man später Judas als den großen Bösen hinstellen wollte, hat man sich in erster Linie berufen auf diese Aussagen im Johannesevangelium. Und von Judas ganz allgemein und umfassend zu den Juden war es schließlich auch ein kurzer Weg.

Aber verrät dieser Judas Jesus wirklich nur deshalb, weil er einfach böse ist? Ich sehe noch ganz andere Möglichkeiten. Möglichkeiten, die diesen Judas auch in ein anderes Licht rücken. Wir erinnern uns: an den Einzug Jesu in Jerusalem. Hosianna haben die Menschen gerufen. Gepriesen sei, der da kommt im Namen Gottes. Zugejubelt haben sie ihm. Gehörte Judas vielleicht zu den wenigen, die das Widersprüchliche dieser Situation sahen? Dass hier einem zugejubelt und die Veränderung aller Lebensumstände zugetraut wurde, der auf einem Eselsfüllen geritten kam. Hatte Judas vielleicht seine Zweifel? Fühlte er sich verraten von Jesus? Oder wollte er ihn zwingen, sein wahres Gesicht zu zeigen? Seine göttliche Vollmacht zu demonstrieren, sobald er verhaftet wird? Dass Judas die Folgen seines Handelns ganz falsch eingeschätzt hat und wie sehr ihn das erschreckte, wird in den Evangelien ebenfalls beschrieben.

So wie etwas ganz entscheidendes Anderes auch: Einen Tag nachdem Judas beschlossen hat, Jesus zu verraten, sitzt der mit seinen 12 Jüngern zu Tisch. Und er sagt Judas auf den Kopf zu, was er getan hat. Und dann feiert Jesus mit allen das Abendmahl. Auch mit Judas Ischariot.