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Der Saum seines Gewandes

Die Kirche war proppenvoll. Männer, Frauen, junge und alte – alle waren gekommen. Sie haben die brennenden Kerzen gesehen, die Orgel gehört, den Tannenduft gerochen.

So war es bei uns in der Heiligen Nacht. Und mittendrin saß ich als Pfarrer in meiner Bank und hab meinen Gedanken nachgehangen: Ich weiß, dass viele Menschen mit Gott so ihre Schwierigkeiten haben oder gar nicht an ihn glauben. Ich mache mir da nichts vor: den meisten Menschen, denen es so geht, fehlt nichts. Sie vermissen nicht wirklich etwas in ihrem Leben. Man kann ein ganzes Leben ohne Gott führen und sich dabei nicht unglücklich fühlen.

In der Heiligen Nacht saßen sie nebeneinander, bunt gemischt, die Zweifler und die Sicheren in ihrem Glauben. Mein Blick ist durch die volle Kirche geschweift: Aus verschiedensten Gründen waren Menschen an diesem Abend hier, viel mehr als sonst. Sie alle hatten eins gemeinsam: Die Suche nach einer besonderen Erfahrung. In dieser Heiligen Nacht haben sie diese bei dem Gott gefunden, der ein Mensch geworden ist, der auf Augenhöhe mit den Menschen steht.

Ich glaube, diesen Menschen ging und geht es ähnlich wie der Frau in einer Geschichte, die in der Bibel steht: Jesus kommt in eine Stadt. Die Menschen laufen ihm hinterher. Auch eine Frau, die seit Jahren krank ist. Sie folgt Jesus, fasst den Saum seines Gewandes an und wird plötzlich gesund. Jesus merkt, was geschehen ist und dreht sich zu ihr um. Dann sagt er: »Dein Glaube hat dich gesund gemacht!« Das ist das Besondere an Gott, der uns in Jesus von Nazareth begegnen kann. Jesus sagt nicht zu denen, die ihm zujubeln: »Ich finde euren Glauben toll!« Jesus wendet sich dem Menschen zu, der den Mut gefunden hat, ihm zu begegnen und von ihm etwas zu erhoffen.

Diese Geschichte zeigt mir, dass der Wunsch eines Menschen nach Heilung, nach Zuwendung, nach einer Erfahrung mit Gott größer sein kann, als ich denke. Klar: Es wird Menschen geben, die Gott keine Chance geben. Aber ich freue mich, wenn Menschen es tun. Wer es wagt, nach dem Saum seines Gewandes zu greifen, wird etwas erfahren, was er nicht für möglich gehalten hat. Wie die Frau in der Geschichte mit Jesus.