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Der Natur ihr Leben glauben – zum Todestag von Dorothe Sölle

Jemandem sein Glück glauben

ist schwerer als

Jemandem die Trauer abnehmen

Wir schwimmen im See

Die Bergkette spiegelt sich

Plötzlich schnellst du dich vorwärts

Ich sehe nur Tropfen Fäden

Du hast dich in Sonne Wasser und Bewegung aufgelöst

Vor Begeisterung verschlucke ich mich und versuche nachzukommen

Über das Glück miteinander sprechen

Ist noch schwerer

Weil wir einander kaum trauen können

Es kommt mir vor wie die Sache mit den Heiligenscheinen

Wer weiß wie sie zustande kommen

Wieso Leute so etwas gesehen haben müssen

Welche Freude dazu geführt haben muss

Jemanden leuchten zu sehen

Vor zwanzig Jahren verstarb die Dichterin dieser Worte: Dorothe Sölle. Für mich war sie Zeit ihres Lebens eine beeindruckend mutige Frau, die ihren Glauben und ihre Lehre immer mit dem gelebten Leben in Verbindung zu bringen wusste. Sie schwieg nicht zu den himmelschreienden Ungerechtigkeiten, die gerade Frauen in aller Herren Länder zuteilwurden. Sie wusste sich gegen Diktaturen einzusetzen und war in dieser Hinsicht für mich als Studentin eine sehr glaubwürdige Lehrmeisterin.

Die zarten poetischen Seiten dieser kämpferischen Frau entdeckte ich erst viel später und begann sie zu schätzen: Ich lernte dieser tapferen Frau und Mutter ihr Glück zu glauben ohne ihr einen Heiligenschein geben zu müssen. Immer hat sie Worte gefunden, die Wunderbares und Schmerzhaftes mit ihrem Glauben in Verbindung bringen. Niemals hat sie mit ihren Zweifeln und Fragen zurückgesteckt: sie hat Gott damit nicht geschont.

Genau deshalb gehe ich so gerne in ihren Texten spazieren. Immer wieder stoße ich mich an ihren manchmal steilen Behauptungen:  weil wir einander kaum trauen können, wird Glück un-besprechbar! Das ist so eine Behauptung, die mich allerdings nicht nur stutzen lässt, sondern auch erkennen: ja, wie wahr, mit wem kann ich eigentlich über Glück reden, ohne Furcht, mich lächerlich zu machen? Und wie oft suche ich als Pfarrerin vielleicht nach dem, was schmerzt, was Trauer auslöst, anstatt einfach freien Herzens mit jemandem ihr oder sein Glück zu feiern! Wäre doch unglaublich schön, im Alltag öfter mal jemanden leuchten zu sehen oder einem Menschen genau dazu Mut zuzusprechen.

Dorothe Sölle entdeckt dies Glück, was erleuchtet, beim Schwimmen mit ihrem Mann in einem Bergsee. Wie wunderbar sie dies einfache Glück in Worte fassen kann! Mich erreicht ihr Glück: mich als Seelsorgerin und mich als Frau, die sich auf den Frühling freut. Es wird uns ja vergönnt sein in diesem Frühjahr, wieder in Gesichter zu blicken – nicht nur auf Augen und Masken, was für ein Glück. Und ja, es wäre wunderschön, denen, die lächeln und vielleicht sogar leuchten, ihr Glück zu glauben. Denn schließlich ist solches Glück ansteckend und soll sogar eine Wohltat für traurige Menschen sein!

Auch wenn ich gerade nicht die Aussicht auf das Baden in einem Bergsee habe, ist es Dorothe Sölle, die mich dazu ermutigt, doch auch dem leuchtenden schlichten Glück zu trauen. Die Freude darüber mit in meinen Tag zu nehmen, wird ansteckend sein. So ist das mit dem leuchtenden Glück: Der Schmerz und alles Traurige wird nicht kleingeredet dadurch, nur anders angesehen, eben ein bisschen mit Leuchten. Könnte sein, dass dadurch manche von uns plötzlich wie mit Heiligenschein im Alltag erscheint… schließlich feiert Gott uns im Glück genauso wie er uns im Trauern trägt.