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Der Mann aus dem Morgenland

Vier Wochen vor Weihnachten letztes Jahr: Freunde von mir sind unterwegs in Saarlouis mit ihrer neunjährigen Tochter. In der Hand hält sie einen leuchtend gelben Halbedelstein aus Idar-Oberstein, den ihr Vater ihr mitgebracht hat. Gleich möchte sie den ihrer Freundin schenken. Weil die Tochter Hunger hat, isst sie schnell im Gehen eine Banane. Die Schale wirft sie anschließend in einen Abfalleimer an einer Bushaltestelle. Ein paar Meter weiter merkt sie plötzlich, dass sie aus Versehen den Edelstein mit in den Eimer geworfen hat. Sie bricht in Tränen aus, weil ihr dieser Stein so viel bedeutet.

Vater und Tochter kehren augenblicks zurück und beugen sich über die Tonne. Der Vater  leuchtet mit dem Handy den Inhalt ab, die Tochter wühlt darin verzweifelt. Ein Autofahrer, der gerade neben ihnen bei Rot halten musst, sieht dieses Bild: Ein Mann im langen Mantel und ein Kind beugen sich über einen Abfalleimer und wühlen darin herum. Er muss assoziiert haben: Die suchen nach was zum Essen. Also steigt der Mann aus, reicht dem Vater einen 20-Euro-Schein und sagt mit ausländischem Akzent: „Bitte, für die Kleine. Wenigstens was Kleines zu Weihnachten.“ Als der überraschte Vater zögert, drückt der Fremde dem Kind das Geld in die Hand und steigt rasch wieder ins Auto, weil die Ampel gerade auf Grün springt.

Heute wird in den Kirchen zu Epiphanias die Geschichte von Männern aus dem Morgenland erzählt, die auch einem Kind, das sie gar nicht kennen, etwas schenkten. Ob der Autofahrer die Geschichte kannte, ist fraglich; Aber er handelte ganz im Geiste jenes Menschen, zu dessen Geburt diese Fremden damals gratulieren gekommen waren.