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Der Herr ist mein Hirte

Von der Uferstraße entlang des Toten Meeres biege ich auf jordanischer Seite ab in östlicher Richtung. Hinein in die Berge. Wilde Felsen, in der Sonne leuchtend gelb bis rot. Tiefe Schluchten. Steinige Hänge. Immer wieder kleine Plateaus. Alles trocken. Nirgendwo auch nur ein Grashalm. Faszinierend schön. Aber extrem lebensfeindlich.

Und doch an vielen Stellen Schaf- und Ziegenherden. Hütehunde. Immer in der Nähe Hirtenjungen auf einem Felsen, manchmal zu zweit, zu dritt, meistens alleine. Wovon leben die Tiere? Wovon die Hirten? Wovon die Beduinen, deren einfache Zelte hier und da zu sehen sind?

Irgendwann vor sehr langer Zeit hat so ein Hirtenjunge gedichtet:

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“

Seit ich Konfirmand war, seit fast 50 Jahren, kenne ich dieses Gedicht auswendig. Es ist der 23. Psalm.

Und erst hier in den jordanischen Bergen, oberhalb des Toten Meeres, begreife ich, dass dieser Psalm nicht von Fülle und Wohlergehen singt, sondern von der Sehnsucht in kargen Zeiten.

Von der Sehnsucht nach grünem Gras und frischem Wasser auf steinigen Felsplateaus.

„Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.“ Das singt nicht von der Erwartung, dass der Hirte ständigen Überfluss garantiert, sondern vom Vertrauen, dass der Herr die Seinen in kargen Zeiten nicht umkommen lässt.

Vier Wochen nach der ersten Fahrt fahre ich dieselbe Strecke wieder. Mir bietet sich ein völlig verändertes Bild. Überall grün. Für unsere Verhältnisse immer noch karg und doch: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“