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Den Wolf füttern

Neulich habe ich mich über eine Bekannte sehr geärgert.                   Wir haben über etwas diskutiert, und waren einfach unterschiedlicher Meinung. Das kann vorkommen und ist  eigentlich kein Problem.  Doch plötzlich ist ihr Ton scharf geworden und sie ist mir über den Mund gefahren. Nur ihr Standpunkt sei der Richtige.  Sie ging in einer Art und Weise mit mir um, die ich als unangenehm und unangemessen empfunden habe: von oben herab.

Ich habe nicht verstanden, woher die Schärfe plötzlich gekommen ist,  denn eigentlich gab das das Gespräch gar nicht her. Ich habe zwar Ärger bei mir  gespürt, bin diesem Impuls aber nicht gefolgt, getreu nach dem Motto: Erst mal eine Nacht drüber schlafen.

Dennoch hat mich das noch einige Tage umgetrieben. Mein  Ärger war in meinen Gedanken. Ich habe mir Dialoge mit der Bekannten überlegt, in der ich ihr so richtig die Meinung sage. Es waren Rachegedanken.  Ich musste an folgende kleine Geschichte denken:

„Ein alter Indianer saß mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten. Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, sagte der alte Indianer „Weißt du wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen. Einer der beiden ist aggressiv, rachsüchtig und grausam. Der andere ist liebevoll, verspielt und sanft.

Der Enkelsohn hört interessiert zu. „ Und welcher von den beiden gewinnt den Kampf um dein Herz ?“ fragt er schließlich. „Der Wolf, den ich füttere“, sagt der alte Mann.

Mir gefällt diese Geschichte sehr. Es ist ja wirklich so: Ich bin es selbst, die ihre Wölfe füttert mit meinen Gedanken und meinen Gefühlen. Bezogen auf das Gespräch mit meiner Bekannten heißt das: Es waren meine Gedanken, die sich mit Rache und Vergeltung beschäftigten.  Niemand hat mich  gezwungen, das zu denken.

Diese Erfahrung, hin und her gerissen zu sein zwischen aggressiven und rachsüchtigen und Gedanken und der nüchternen Überlegung, ob es sich überhaupt lohnt, sich darüber so aufzuregen, kennt wohl jede und jeder.

Welche Kräfte gewinnen die Oberhand? Der alte Indianer sagt: Es hängt davon ab, welchen Wolf wir füttern. Dabei geht es um unsere innere Haltung.

Dabei ist klar: Der Konflikt zwischen den beiden Seiten unserer Persönlich-keit wird uns immer begleiten,  trotz richtiger Fütterung. Doch wer immer wieder Nächstenliebe und Gerechtigkeit einübt, wird seinen Mitmenschen eher mitfühlend begegnen.

Übrigens: Ich habe das Gespräch mit der Bekannten über ihren unangemessenen Ton nicht mehr gesucht. Es erschien mir nicht zielführend, und es war mir dann auch nicht wichtig genug.                                                                                                   Aber diese Begegnung hat mir zu einer wichtigen Einsicht verholfen:  ich selber bin es, die darüber entschiedet, womit ich mich beschäftige und womit nicht, bzw. welchen Wolf ich füttere und welchen nicht.