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Das letzte Mahl

Da saßen sie zusammen. Keiner ahnte irgendetwas. Oder vielleicht doch? Immerhin hatte der Tag sehr eigenartig begonnen. Ähnlich wie beim Einzug nach Jerusalem hatte er sie losgeschickt. Er hatte ihnen genau vorausgesagt, wie sie den Raum entdecken würden, in dem sie gemeinsam Passah feiern wollten. Es traf alles so ein wie von ihm vorhergesagt. Keiner hatte darüber ein Wort verloren.

Am Abend kamen sie dann zusammen. Zwölf Jünger und Jesus in ihrer Mitte. Der übernahm die Rolle des jüdischen Hausvaters bei diesem Festmahl, das jedes Jahr im Kreis der Familie gefeiert wurde.  Zur Erinnerung an das, was Israel in Ägypten widerfahren war. Die Befreiung aus ägyptischer Sklaverei. Jesu Familie waren die Zwölf. Das hatte er zu einem früheren Zeitpunkt so gesagt.

Das Mahl folgte Jahr für Jahr einem genauen Ablauf. Jesus nahm das ungesäuerte Brot in die Hand, dankte Gott mit den Worten wie zu Beginn jeder Mahlzeit: „Gepriesen bist Du, Herr unser Gott, König der Welt, der das Brot aus der Erde hervorbringt“. Er hat das Brot in Stücke gebrochen und es den Jüngern gereicht. So weit war alles normal.

Aber eine Aussage ganz zu Beginn hatte sie doch aus der Bahn geworfen. Eine ungeheuerliche Aussage. Er beschuldigte einen von ihnen des Verrats. Gut vorstellbar, wie dieser Vorwurf die Stimmung schlagartig veränderte. Jeder wies die  Anschuldigung zurück und überlegte zugleich, wer von den anderen es gewesen sein könnte. Die Feier, die an die Befreiung Israels erinnern sollte, hatte schlecht begonnen.

Ein anderer Hausherr hätte sie an dieser Stelle abgebrochen. Jesus aber feierte mit ihnen. Mit allen. Dort saß ja nicht nur Judas Ischariot. Der ihn für 30 Silberlinge verraten sollte. Dort saßen auch diejenigen, die kurze Zeit später sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuten, regelrecht geflohen sind. Da saß derjenige, der Jesus nach dessen Verhaftung verleugnen sollte. Jesus hat gewusst, wie verlassen er sein wird. Am Kreuz hat er es heraus geschrien. Nicht nur von Menschen verlassen, viel mehr noch: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Und dennoch feierten sie gemeinsam Passah. Mit den uralten Ritualen: Das Fest der Befreiung, das doch auch Mut machen und Dank ausdrücken soll für die Begleitung Gottes in den dunkelsten Stunden des Lebens.

Vielleicht haben sie darüber doch noch einmal vergessen, welcher Vorwurf immer noch im Raum stand. Doch dann plötzlich ist Jesus vom Wortlaut der Passahliturgie abgewichen. Hat Sätze gesagt, die alle verstanden und doch keiner hören wollte: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ Deutlicher hatte er sein Sterben noch nie angekündigt. Deutlicher als gerade zu dieser Gelegenheit konnte er es auch kaum sagen. Das Passahmahl würde er nicht mehr mit ihnen feiern. Hatten sie das verstanden? Oder hofften sie immer noch, dass er sich irrte? Bestand vielleicht doch die Möglichkeit, dass das Reich Gottes bald anbricht? Waren seine Worte nicht auch so zu verstehen? Seine Worte, die so lauteten: „Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.“

Nur wenige Stunden später waren ihre Hoffnungen dann alle zerschlagen. Judas Ischariot ist zusammengebrochen, als er die Konsequenzen seines Handelns realisiert hat. Petrus sagte, dass er diesem Jesus aus Nazareth noch nie in seinem Leben begegnet sei und alle sind geflohen, um nicht selbst verfolgt zu werden. War nun alles zu Ende?

Nein! Ihr gemeinsames Mahl war doch noch ein Hoffnungsmahl geworden. Eines, an das sie sich später immer wieder erinnert haben. Daran, dass Jesus niemanden von ihnen zurückgewiesen hat. Ganz im Gegenteil: „Das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für alle zur Vergebung der Schuld“, hatte er gesagt.  Das entband sie nicht davon, über ihre Fehler und ihre Schuld nachzudenken. Aber es hat sie tatsächlich zu immer neuem Anfang befreit. So gesehen war ihr letztes Mahl mit Jesus doch ein Fest der Befreiung. Und ist es immer noch.