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Da geht mir das Herz auf

Es ist Sommer geworden – mit und trotz Pandemie. Und das Leben ist leichter geworden – jedenfalls hier unter uns, wo wir uns ohne Angst bewegen, unsere Meinungen austauschen können und medizinisch gut versorgt sind. Wo wir nicht zu Beginn eines neuen Tages vor ein Flüchtlingszelt treten und hoffen müssen, dass schlicht Überleben möglich ist.

 

Vielmehr haben Sie hoffentlich genauso wie ich trotz der Pandemie Grund genug, das Herz der Weite des Sommers zu überlassen, wie es uns der Pfarrer und Liederdichter Paul Gerhardt nahelegt: Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerszeit – an Deines Gottes Gaben. Ja, tatsächlich: Ich erlebe es als eine Gabe, wenn mir das Herz weit wird und offen für die kleinen Momente, die mich erfreuen können, wenn ich sie denn wahrzunehmen bereit bin.

 

Da weist mich die an Krebs erkrankte Frau, mit der ich mich zum Spaziergang treffe, auf den seltenen Schmetterling an der Brombeerblüte hin: „Sehen Sie mal hier, wie leise das Bunte sich ausbreitet. Ach, wissen Sie, ich bin so gern draußen, da geht mir das Herz auf.“

Und die Freundin ruft mich an, um mir freudig erregt mitzuteilen: „Bei uns probt der Chor wieder. Gestern war ich singen. Das war vielleicht schön. Ich fühle mich immer noch ganz beschwingt. Beim Singen geht mir wirklich das Herz auf. Ich habe es daran gemerkt, dass mir heute die Arbeit viel leichter von der Hand ging.“

 

Es ist echt ein Geschenk, wenn ich mich einem kostbaren Augenblick so anvertrauen kann, dass er mich für alles, was dann kommen mag, stärkt: die nächste Chemo, der Arbeitsalltag, die Fürsorge für Familie oder sogar die Auseinandersetzung mit dem Kollegen wird leichter, wenn ich alles mit weitem, offenem Herzen angehen kann – beschenkt von etwas Unscheinbarem, das mir das Herz öffnet.

 

Für mich selbst sind es oft Begegnungen, in denen jemand lacht, die mir das Herz aufgehen lassen. Wenn ich an das begeisterte Hallo des Eisverkäufers denke, als wir uns endlich wieder einmal ohne Maske gegenüberstehen – da geht mir das Herz auf. Oder als mir die Frau aus der Lebenshilfewerkstatt auf die Schulter klopft: stolz, weil sie mich erkannt hat, fragt sie, bevor sie weiter Schrauben dreht, „kannst Du nicht auch mal hier mit uns beten?“  Kurz sieht sie an mir herunter: „Aber Du hast ja nix Schwarzes an. Ich hab Dich vermisst,“ lacht sie. Ich lache zurück und versichere ihr: „Auch unser gemeinsames Lachen, hier in der Werkstatt, hört Gott wie ein Gebet, so wie wir sind – Gott freut sich bestimmt mit uns.“ So winken wir uns noch zum Abschied zu.

 

Wie beschwingt gehe auch ich weiter durch meinen Arbeitstag und merke daran: Mein Herz geht auf, wenn ich aufmerksam bin für Wohltaten. Und so ein weites Herz gibt mir Kraft. In Gedanken an meine sangesbegeisterte Freundin komme ich noch einmal auf Paul Gerhardt zurück: „Ich selber kann und mag nicht ruhn. Des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen. Ich singe mit, wenn alles singt und lasse, was dem Höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen.“

Irgendetwas wird Paul Gerhardt kurz nach dem dreißigjährigen Krieg das Herz geöffnet haben für Ehrfurcht und Demut, für Dankbarkeit und Weiterleben unter Gottes weitem Himmel mit dem Tagewerk, das nun mal geschafft werden will. Wie schön, dass mein Herz sich öffnet und sogar aus-

gehen kann, um die Kraft für den Alltag zu finden.

Ich glaube, so wollte es auch der Dichter der Weisheit, als er uns im Buch der Sprüche mahnt: „Vor allem behüte Dein Herz, denn es har den größten Einfluss auf Dein Leben.“

In diesem Sinne lassen Sie es zu, dass Ihr Herz sich öffnet oder sogar einmal ausgeht in Gottes gute Schöpfung. Es wird Ihnen Kräfte zurückgeben, die Sie genau dort gebrauchen können, wo gerade Ihr Platz im Leben ist.