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Byblia

Einhunderteinundsiebzig Meter Regalfläche! Etwa 4000 Bände. Als Schulreferent leite ich eine kirchliche Fachbibliothek. Noch – denn bis zum Frühjahr wird sie aufgelöst. Für mich ein kleines Zeichen des großen Abschieds… vom Buch.

Noch stehen um meinen Schreibtisch über sechzig Jahre Religionspädagogik, Theologie und etwas Belletristik. Aber der einstige Nutzerstrom ist abgeebbt. Das wissenschaftliche Lesen ist digital ge­worden und die wenigen Ausleihen rechtfertigen den Be­trieb nicht mehr. Wie mir geht es zurzeit gleich mehreren Fachbibliotheken im Saar­land. Auf zehntausende Bücher wartet der Papiercontainer.

Als Kind liebte ich die Sendung mit der Maus. Da gab es eine Folge über einen richtigen Buchbinder. Ich konnte mitverfolgen, wie er die Seiten schneidet, sie in richtiger Folge aufei­nanderlegt, den Rücken näht und leimt und schließlich den Einband fertigt. Das Produkt strahlte einen Wert aus – eine äußere Wertschätzung gegenüber den Wor­ten und Gedan­ken im Inneren. Ich bin der Sendung mit der Maus dankbar für den Start in die Liebe zum gebundenen Buch. Und das zur Hochzeit der billigen Paperbacks. Vorboten eines gigantischen Para­digmenwech­sels.

Mit der Erfindung des Buchdrucks vor bald fünfhundertfünfundsiebzig Jahren geschah eine kulturtechnische Zeitenwende. Mit dem Einzug der digitalen Medien leben wir mittendrin in der nächsten. Merken wir’s?

Fast wöchentlich sprechen mich Menschen an, die ihre Sammlungen auflösen müssen – ge­erbte Be­stände, Schulbibliotheken, die keiner mehr nutzt. Sie fragen vergeblich, ob ich Ver­wendung für ihre Bücher hätte. Immerhin: Daheim führe ich eine Art Gnadenhof für ausge­diente Bi­beln. Eine Bibel wegzuwerfen, fällt vielen schwer. Mir auch.

Bibel, das kommt vom griechi­schen Wort Βγβλια und heißt ganz einfach: Bücher. Die Bibel: für unseren Kulturraum im­mer noch das Buch der Bücher.

Biblische Texte wurden schon früh nicht nur auf Rollen, sondern auf geschichtete Seiten geschrieben. Bis zu Herrn Gutenberg von Hand. Danach gedruckt. Und jetzt? Wird die Bibel ein digitales Informationsprodukt wie alle anderen Texte auch?

Wie liest sich die Geschichte vom verlorenen Sohn auf einem Bildschirm? Und was macht das mit dem erzählten Gottesbild?  Gibt es Menschen, die den EBook-Reader einschalten, um abends beim Schlafengehen den 23. Psalm zu beten? Ist die Bibel als Buch nicht auch etwas, woran man sich festhalten kann? Im wahrsten Sinne des Wortes?

Ich glaube, Bibelworte verdienen es, nicht einfach zu verschwinden, wenn man den Strom ausschaltet. Es tut gut, ihre Anwesenheit zu spüren, auch wenn man sie jahrelang nicht in die Hand nimmt.

In meiner Familie gibt es eine Bibel, die schon vor dem dreißigjährigen Krieg ge­druckt wurde. Da geht es längst nicht mehr um den Informationsgehalt ihrer Worte, son­dern um Identität.

Nein, die gebundene Bibel wird noch gebraucht. Auch im digitalen Wandel.

Neulich habe ich einen Religionsunterricht besucht. Die Lehrerin hatte die Kinder vorne an der Tafel in den Sitzkreis geholt. Dann hat sie einige Sätze aus einer großen Bibel vorgele­sen. Das schwere Buch ging herum und einige Schülerinnen und Schüler lasen weiter.

Dann hieß es „zurück an die Arbeitsplätze“, wo Tablets mit denselben Worten lagen, und mit einem interaktiven Arbeitsauftrag. So kann’s gehen, sagte ich mir, und war ein Stück getröstet.