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Buß- und Bettag

Musik:

„16Tons“, Tennessee Ernie Ford, 0’00’’-2’35’’ (Fade Out am Ende)

Autor:

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer! Mit dem Lied „16Tons“ von Tennessee Ernie Ford grüße ich Sie zu dieser Morgenfeier am Buß- und Bettag. Herzlich Willkommen. Schön, dass Sie alle mit dabei sind! In diesem Lied aus den 50ger Jahren, dass wir gerade gehört haben, da singt Tennessee Ernie Ford vom harten und hoffnungslosen Leben in einer amerikanischen Kohlegrube.

Sprecher:

„Da lädst du 16 Tonnen, und was hast du davon? Einen Tag älter und noch tiefer in den Schulden. Petrus, hol mich noch nicht, ich kann noch nicht gehen – ich schulde meine Seele dem Werksverkauf.“

Autor:

Ein Leben im Hamsterrad. Jeden Tag die gleiche, zermürbende Arbeit. Jeden Tag der gleiche, graue Alltag. Ohne Pause. Ohne Hoffnung. Ohne ein Licht am Ende des Tunnels sehen zu können.  Selbst nach fast 70 Jahren steht dieses Lied immer noch stellvertretend für all die Menschen, die sich in ihrem Alltag und in ihren Lebensumständen gefangen fühlen. Denen viel zu oft die Luft zum Atmen fehlt, auch wenn heutzutage Urlaubsansprüche und gesetzliche Feiertage die Zeit zum Durchatmen eigentlich garantieren sollten.

Der Buß- und Bettag ist übrigens auch mal ein gesetzlicher Feiertag gewesen. Zumindest bis 1995. Da ist er dann zur Finanzierung der deutschen Rentenversicherung einkassiert worden. Aber auch wenn es kein freier Tag mehr ist, ist er bis heute ein Feiertag, der für viele Christinnen und Christen einfach dazugehört. Dabei kommt er aber nicht mit großem Trubel und Festgottesdiensten daher, wie man sie von Weihnachten oder Ostern kennt. Ganz im Gegenteil. Der Buß- und Bettag ist ein Feiertag, der eher zuhören will, als selbst Lärm zu machen. Einer, der zum Innehalten einlädt. Und einer, der wichtige Fragen stellt.

Sprecher:

„Mal ehrlich – wie geht`s dir?“ Eigentlich dürfte das keine schwierige Frage sein. Aber irgendetwas daran irritiert mich. Irgendetwas daran, lässt mich zögern. Das übliche „Wie geht’s dir?“ zur Begrüßung, das bügle ich schon mal mit einem „gut, gut“ oder „ich kann nicht klagen“ ab. Aber wann bin ich das letzte Mal ernsthaft gefragt worden, wie es mir wirklich geht? Wie es in mir drinnen tatsächlich aussieht? Was mich gerade ehrlich beschäftigt?

Autor:

Wenn wir uns selbst fragen, wie es uns wirklich geht – dann schauen die Antworten oft düster aus. Wem haben Sorgen noch nie schlaflose Nächte bereitet? Wem hat die Angst nicht schon einmal die Luft zum Atmen abgeschnürt? Und wer hat sich nach einem folgenschweren Fehler noch nie schlecht, noch nie schuldig gefühlt?

Sicher, das Leben hat auch wunderbare Momente. Glückliche Tage mit Freunden und der Familie. Sich das erste Mal Hals über Kopf zu verlieben. So mancher Erfolg, der lange auf sich warten lassen hat. Momente, in denen man auf die Frage „Mal ehrlich – Wie geht’s dir?“ von ganzem Herzen „großartig“ sagen kann.

Der Buß- und Bettag legt sein Augenmerk aber auf die Augenblicke, an denen wir uns hinter dem schnellen „Gut, gut“, oder dem „ich kann nicht klagen“ verstecken. Genau auf die Momente, in denen wir uns eigentlich alles andere als gut fühlen. Auf die Situationen, in denen die Klage die einzige ehrliche Antwort gewesen wäre.

Sprecher:

“Was kann ich tun, Gott, was kann ich tun? Ich fühl mich so hilflos, ich fühl mich so traurig. Wohin kann ich gehen, Gott, was kann ich tun?“

Autor:

Die schottische Sängern Rachel Sermanni verleiht ihrer Klage in ihrem Lied „What can I do“ auf ihre Art und Weise ganz besonderen Ausdruck. In ihrer Melodie, in ihrer Stimme, da kann ich all die Verzweiflung, all die Traurigkeit, all die Hoffnungslosigkeit hören. Und möchte gerade heute, am Buß- und Bettag, am liebsten selbst mit einstimmen.

 

Musik:

„What can I do“, Rachel Sermanni, 0’00’’-2’55’’ (langsamer Fadeout ab 2’48’’)

 

Sprecher:

„Was kann ich tun, Gott, was kann ich tun? Ich fühl mich so hilflos, ich fühl mich so traurig. Wohin kann ich gehen, Gott, was kann ich tun? Ich bin in einer dunklen Ecke, und irgendjemand weiß das auch. Aber die Leute sind verrückt geworden, einfach verrückt. Keiner hat sich um Versöhnung auch nur bemüht. Das Schiff liegt auf dem Meer, Gott, das Schiff liegt auf dem Meer. Aber niemand spricht über niemanden. Nur Anzüge in den Kojen und Anzüge auf dem Flur. Ich weiß nicht, ob ihnen auch nur ein einziger wirklich wichtig ist. Du musst hell leuchten, Gott, so hell leuchten. Ich brauch so dringend ein Licht. Was kann ich tun, Gott, was kann ich tun?”

Autor:

Der Buß- und Bettag ist ein Tag zum Innehalten. Zum Durchatmen. Und ein Tag, um sich selbst neu zu orientieren. Wie geht es mir eigentlich? Was läuft in meinem Leben gut, und was nicht? Sicher, vieles von dem, was in unserem Leben unrund läuft, das können wir selbst in die Hand nehmen. Manchmal, da fehlt mir nur dieser eine Moment zum Durchatmen, damit ich merke, dass sich etwas ändern muss.

Andere Probleme entziehen sich unserem Einfluss aber auch ganz und gar. Die Diagnose, die der Arzt dieses Mal mit so ernstem Gesicht gestellt hat.  Der Stuhl in der Küche und die Seite im Bett, die plötzlich leer bleiben. Wenn sich ein Abgrund auftut, mich verschluckt und mein ganzes Leben auf den Kopf stellt. Was dann?

Gut, wenn ich Menschen um mich herum habe, die mir dann beistehen. Die mir dann helfen. Die mir zur rechten Zeit und am rechten Ort ihre Hand reichen und mich aus meiner Dunkelheit befreien. Aber was, wenn ich ganz alleine bin? Wenn sich tief in mir ein dunkler Abgrund auftaut, und weit und breit keine Hilfe zu sehen ist?

Sprecher:

Tief aus dem Abgrund, Herr, rufe ich zu dir: „Mein Herr, höre meinen Hilfeschrei! Deine Ohren sollen aufmerksam sein! Vernimm mein Flehen um Gnade! Wenn du Herr, die Sünden zählen würdest – wer würde vor dir bestehen? Doch bei dir liegt die Kraft der Vergebung. Dafür begegnet man dir mit Ehrfurcht.“  Ich hoffe auf den Herrn. Voller Sehnsucht hoffe ich auf ihn und warte auf seinen Freispruch. Voller Sehnsucht warte ich auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen, ja, mehr als die Wächter auf den Morgen. So soll auch Israel auf den Herrn warten! Denn nur beim Herrn ist Güte zu finden. Die umfasst auch die Befreiung von Schuld. Ja er wird Israel von Schuld befreien. Er wird ihnen alle Sünden vegeben.

Autor:

Mir gehen diese Worte aus dem 130. Psalm tief unter die Haut. Ein Mensch in Not, tief im Abgrund gefangen. Und ein Hilfeschrei, der bis zum Himmel klingt. Ein verzweifeltes Gebet. Und gleichzeitig die Sorge – wird Gott mir überhaupt helfen? Aber wenn nicht Gott, wer denn dann? Beten. Irgendwie wirkt das heutzutage so befremdlich. Und gleichzeitig doch so vertraut. Beten wir eigentlich noch?

VoxPops2: (0‘56‘‘)

F1: „Ich finde man erwischt sich schon, wenn man in schwierigen Situationen ist, dass man da doch um Hilfe bittet.“ F2: „Ich habe viele Situationen in meinem Leben erlebt, wo ich getragen wurde.“ M1: „Als mein Vater im Krankenhaus war, wegen einer Krebsdiagnose, die er gottseidank ohne Rückstände überstanden hat, da habe ich tatsächlich aber auch wirklich mit Adresse mit ‚lieber Gott‘ und ‚bitte‘ – so wie ich es eigentlich nicht mache und wie mein Glaube auch eigentlich gar nicht ist – wirklich so gebetet.“ M2: „Beten ist für mich immer so ein Rückhalt. Wenn ich merke irgendwie kann ich gerade mit niemandem über etwas sprechen, aber ich möchte irgendwas loswerden, das ist für mich beten.“

Autor:

Wenn wir beten, dann sprechen wir mit Gott. Egal ob laut und bewusst. Oder leise als Stoßgebet. Gott hört zu. Gerade dann, wenn uns selbst die Worte fehlen. Gerade dann, wenn uns sonst niemand zuhört. Genau dann versteht uns Gott. Wenn wir im Hamsterrad unseres Lebens gefangen sind. Wenn uns die sprichwörtliche Not das Beten lehrt. Wenn wir wie der Psalmbeter tief aus dem Abgrund zu ihm rufen. Dann Gott hört zu. Und er vergisst uns nicht.

 

Musik:

„Lord, Remember me“, Ruthie Forster (0’00’’-3’11’’, Fadeout ab 3’08’’

 

Sprecher:

“Herr, erinnere dich an mich. Wenn sich meine Ketten lösen, dann setz meinen Körper frei. Die Tage werden länger, ich rufe deinen Namen. Die Tage werden länger, und ich weiß nicht mehr, was falsch und richtig ist. Lass mich deinen Willen tun. Wenn Schwierigkeiten mich bewegen, lass mich doch beständig stehen. Herr, erinnere dich an mich.“

Autor:

Der Buß- und Bettag ist ein Tag zum Innehalten. Zum Durchatmen. Und ein Tag, um sich selbst neu zu orientieren. Wie geht es mir eigentlich? Was läuft in meinem Leben gut, und was nicht? Sicher, vieles von dem, was in unserem Leben unrund läuft, das können wir selbst in die Hand nehmen. Einiges entzieht sich aber auch ganz und gar unserer Kontrolle. Manchmal, da hilft nur noch das Gebet und die Gewissheit, dass Gott uns am Ende nicht vergessen wird.

Manchmal, da wünschte ich mir aber, dass Gott sich doch nicht an alles erinnert. Und zwar genau dann, wenn ich zur Ruhe komme, und mir bewusst wird, wo ich überall versagt habe. Dann geht es mir wie dem Beter aus Psalm 130: „Vernimm mein Flehen um Gnade! Wenn du Herr, die Sünden zählen würdest – wer würde vor die bestehen?“. Und dann fällt es mir alles wieder ein. Wobei – das wäre gelogen. Alles sicher nicht. Aber eine Erinnerung reiht sich an die nächste. Das Wort, das meinen besten Freund so verletzt hat. Die Lüge, damit ich ungeschoren davonkomme. Der Obdachlose, den ich bewusst übersehen habe. Der Hilferuf, den ich vor lauter Terminen nicht hören wollte. Wenn ich aus der Tiefe meines Abgrunds zu Gott rufe, wird er mich überhaupt hören wollen? Bei alldem, was ich getan habe? Und bei dem vielen mehr, was ich eigentlich hätte tun müssen?

Sprecher:
Jesus aber sprach zu seinen Jüngern dieses Gleichnis:

»Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt. Er kam und schaute nach, ob Früchte daran waren – aber er fand keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: Seit drei Jahren komme ich schon und schaue nach, ob an diesem Feigenbaum Früchte sind – aber ich finde keine. Jetzt hau ihn um! Wozu soll er dem Boden noch weiter seine Kraft nehmen?‹ Aber der Weingärtner antwortete: ›Herr, lass ihn noch dieses Jahr stehen. Ich will die Erde um ihn herum noch einmal umgraben und düngen. Vielleicht trägt der Baum im nächsten Jahr doch noch Früchte. Wenn nicht, hau ihn dann um.‹«

Autor:
Der Buß- und Bettag ist ein Tag zum Innehalten. Zum Durchatmen. Ein Tag, um sich selbst neu zu orientieren. Und ein Tag der zweiten Chance. Für den Feigenbaum ist eigentlich alle Hoffnung verloren. Jahr um Jahr hat man ihm die Möglichkeit gegeben, Früchte zu tragen. Hat ihn gehegt und gepflegt, umsorgt und ihm alle Möglichkeiten gegeben, sich zu beweisen. Aber Jahr um Jahr bleibt die Ernte aus. Grund genug, ihn umzuhauen, oder? Nicht für den Weingärtner. Nicht für Gott. Vielleicht dieses Mal. Vielleicht in diesem Jahr. Vielleicht braucht es nur noch eine weitere Chance.

Auch wenn der Buß- und Bettag kein freier Tag mehr ist, ist er dennoch ein Feiertag. Ein Feiertag für die zweite Chance. Heute darf ich innehalten, mich neu orientieren und mich selbst fragen: Wie geht’s mir eigentlich wirklich? Was muss ich in meinem Leben ändern? Wo laufe ich im Hamsterrad meiner eigenen Lebensumstände und wo brauche ich Hilfe? Wo kann ich mir selbst helfen? Wo habe ich versagt, und wo brauche ich meine zweite Chance?

Musik:
„Set my soul on fire“, The War & Treaty (0’00’’-4’59’’)