Beiträge

Bibel zur Rechtfertigung

Wenn Kinder entführt werden oder ihren Eltern mit Gewalt weggenommen werden, ist normalerweise die Empörung in einer Gesellschaft groß. Und nahezu immer einstimmig. Es sei denn, der Staat ist der Täter. Dann teilen sich die Geister.

Das gab es im letzten Jahrhundert beispielsweise in Kanada und Australien: Kinder von Ureinwohnern wurden vom Staat ihren Eltern massenweise weggenommen. Sie wurden in fern abgelegene Internate gesteckt, um ihnen zwangsweise westliche Kultur einzutrichtern. Aber das war nicht nur letztes Jahrhundert so: In diesem Jahr haben wir es erlebt, dass Kinder – auch Kleinkinder – von Migranten in den USA gewaltsam von ihren Eltern getrennt und in Einrichtungen untergebracht wurden, die mitunter Tausende von Kilometern von der Grenze entfernt waren. Das sollte zur Abschreckung dienen. Kamen die Eltern trotzdem  über die Grenze, waren sie selbst schuld daran, was ihren Kindern passierte.

Ein Großteil der amerikanischen Öffentlichkeit hat empört reagiert. Daraufhin hat der immer auf öffentliche Wirkung bedachte Präsident diese Praxis gestoppt. Aber das heißt nicht, dass diese Kinder wieder rasch mit ihren Eltern zusammengeführt werden. Im Gegenteil: Die staatliche Suche nach den entführten Kindern gestaltet sich quälend langsam. Einige Kinder sind anscheinend gar nicht mehr aufzufinden.

Was mich an diesem gesamten Vorgang besonders anwidert, ist, wie die Bibel zur Rechtfertigung dieser staatlichen Gewalt gegenüber Kindern missbraucht wurde. Mitten in der öffentlichen Debatte sagte nämlich der Justizminister: „Das steht durchaus im Einklang mit dem christlichen Glauben. Heißt es doch im Römerbrief, Kap 13: ‚Jedermann sei untertan der Obrigkeit. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott angeordnet‘ [Röm 13, 1]. Wenn also der Staat etwas zu seiner Sicherheit tut, dann handelt er damit im Auftrag Gottes!“

Mal abgesehen von der verqueren Bibelauslegung, die hier stattfindet: Wir in Deutschland wissen aus eigener bitterer Erfahrung, dass der Staat keineswegs immer im Recht ist.  Er muss sich an den Menschenrechten ausweisen, nicht am Zitieren einzelner Bibelverse. Dem müssen wir ein eindeutiges „Nein“ entgegenhalten – auch wenn es dabei um ein Wort des Apostels Paulus geht!