„Ausländer raus!“

Spät abends sprühen ein paar Vermummte auf die Kirchenwand: “Ausländer raus” und “Deutschland den Deutschen”. Steine fliegen in das Fenster des türkischen Ladens gegenüber der Kirche. Dann zieht die Horde ab. Gespenstische Ruhe. Die Gardinen an den Fenstern sind schnell wieder zugezogen. Niemand hat etwas gesehen. „Los kommt, wir gehen.”- „Wo denkst Du hin! Was sollen wir denn da unten im Süden?” „Da unten? Da ist doch immerhin unsere Heimat. Hier wird es schlimmer. Wir tun, was an der Wand steht: ´Ausländer raus´!” Tatsächlich: Mitten in der Nacht springen die Türen der Geschäfte auf. Zuerst kommen die Kakaopäckchen, die Schokoladen und Pralinen heraus, sie wollen nach Ghana und Westafrika, denn da ist ihr Zuhause. Dann der Kaffee, palettenweise: Uganda, Kenia und Lateinamerika sind seine Heimat. Ananas und Bananen räumen ihre Kisten, auch die Trauben und Erdbeeren aus Südafrika. Es ist kurz vor Weihnachten. Der Dresdner Christstollen zögert. Mit Tränen in seinen Rosinenaugen gibt er zu: Mischlingen wie mir geht´s besonders an den Kragen. Nicht Qualität, nur Herkunft zählt jetzt. Dann ist der Auszug geschafft, rechtzeitig zum Fest. Nichts Ausländisches ist mehr im Land. Es gibt noch Tannenbäume, Äpfel und Nüsse. Und „Stille Nacht” darf gesungen werden – Allerdings nur mit Extragenehmigung, das Lied stammt immerhin aus Österreich! –
Soweit aus einer Geschichte von Helmut Wöllenstein.
Eine Erzählung, die leider durchaus real werden kann. Gehen Sie z.B. durch ein Krankenhaus: Wie viele Ärztinnen, Pflegekräfte, Hauswirtschafterinnen stammen aus Syrien, der Türkei, Albanien und anderen Ländern? Wie würde es in dieser Klinik plötzlich aussehen, wenn alle Fachkräfte mit Migrationsgeschichte über Nacht ihren Arbeitsplatz verlassen würden? Richtig, es würde nichts mehr funktionieren. Ähnliches gilt für meine Generation, die der geburtenstarken Jahrgänge. Wir werden demnächst in Rente gehen. Wer wird unsere Arbeitsplätze übernehmen, da die nachfolgenden Jahrgänge zahlenmäßig viel kleiner sind? Wie gut, dass Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen und sich hier ein Leben für sich und ihre Familien aufbauen. Menschen, die unsere Demokratie schätzen und bereit sind, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Deshalb braucht es kein Abschotten, sondern eine kluge und mitmenschliche Migrationspolitik, die Integration durch Offenheit, gegenseitigen Respekt, Bildung, Ausbildung, Arbeit ermöglicht.
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