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Auf dem Weg sein

In diesem Sommer habe ich das Wandern für mich entdeckt. Noch bis vor einiger Zeit dachte ich so: Wandern ist nur was für Senioren, für ältere Menschen, die mit festen Wanderschuhen, Kniestrümpfen, Wanderhosen, in karierten Blusen und Hemden stockschwingend in der Natur unterwegs sind. Bereits als Kind mochte ich lange Sonntagsspaziergänge nicht besonders. Und Sport stand als Schulsport immer unter dem Diktat der Leistung. Sportunterricht bedeutete Anstrengung bis zur Erschöpfung und Benotung. Freude an der Bewegung hat das nicht hinterlassen. Und mein Verhältnis zur Bewegung war lange Zeit gestört.

Gott sei Dank werde ich langsam zu alt für solche falsch erlernten Ansichten und Lebenshaltungen. Seit einigen Jahren bewege ich mich richtig gerne. Am Anfang bin ich in mäßigem Tempo gelaufen, so, dass ich mich mit meiner Laufpartnerin gut unterhalten konnte. Dann kam die Gymnastik dazu und in diesem Sommer bin ich meine ersten Traumschleifen Premium – Wanderwege gegangen. Diese Wanderwege sind zwischen 8 und 18 km lang und als Rundwege angelegt. Mittlerweile gibt es viele davon im Saarland und in Rheinland-Pfalz. Kostenlose Broschüren gibt es in jedem Rathaus oder in den Fremdenverkehrsbüros der Städte. Alle Wanderwege sind gut beschrieben und ausgeschildert, mit Steigungsprofilen versehen, eingeordnet in leicht, mittel oder schwer, die Parkplätze sind ausgeschildert – einfacher kann man es im Grunde nicht haben. Nur auf den Weg machen muss ich mich immer noch selber. In Begleitung fällt mir das leichter. Die ersten paar hundert Meter gehe ich gerne schweigend und für mich. Ich stelle mich auf den Weg ein, beobachte die Landschaft um mich herum, öffne meine Sinne. Meistens ergibt sich nach den ersten Metern ein gleichmäßiger Geh-Rhythmus. Der Atem fließt.

Ich spüre den Wind auf der Haut, die Wärme der Sonne und den Untergrund unter den Füßen: mal ein weich federnder Waldboden mit Moos, mal harte steinige Wege, oder auf dem Boden verlaufende Wurzeln. Mein Schritt passt sich dem Untergrund an. Ich werde leichtfüßig. Beim Gehen kommen auch meine Gedanken in Fluss. Am Anfang sind sie oft flüchtig und zerfahren, aber unter dem gleichmäßigen Schritt und dem ruhigen Atem sortiert sich manches. Ich bin in Gedanken bei mir. Die alten Weisheitsworte des Kohelet kommen mir in den Sinn: “So ist’s ja besser zu zweien als allein. Fällt einer von ihnen, so hilft ihm sein Gesell auf. Weh dem, der allein ist, wenn er fällt! Dann ist kein anderer da, der ihm aufhilft.“

Nicht nur beim Stolpern und Ausrutschen ist es gut, nicht allein zu sein. Auch beim Wandern tut mir die Zweisamkeit gut. Mein Wanderpartner und ich tauschen Gedanken aus, erklimmen keuchend Steigungen, machen einander aufmerksam auf Tiere und Pflanzen, genießen gemeinsam schöne Ausblicke. Ein permanenter Blickkontakt ist nicht nötig und auch nicht möglich und dennoch entsteht eine Gemeinschaft. Ein aufeinander achten und aufeinander hören. Mal gehe ich voran, mal mein Partner, mal gehen wir nebeneinander her. An Weggabelungen suchen wir gemeinsam, wie es weiter geht. Eine Weggemeinschaft entsteht. Manchmal finden wir eine schöne Stelle zum Rasten und Verweilen. Wir sitzen nebeneinander auf einer Bank, trinken Wasser und essen Obst aus dem Rucksack und genießen die Aussicht. Der Weg ist herausfordernd und schweißtreibend, der Körper wird beansprucht, aber auf eine gute Art und Weise.

Wandern ist Sport, aber geht nicht um Leistung, es geht um Genuss, um Freude und Lust an der Bewegung. Ich freue mich über meinen Körper. Ja, ich bin wunderbar gemacht und ich spüre in mir eine große Dankbarkeit für das Leben und auch für das, was mir auf meinem bisherigen Lebensweg begegnet ist. Das Leben ist ein Wandern, das wird mir neu bewusst. Ich bin neugierig, was sich hinter der nächsten Wegbiegung des Lebens noch ereignen wird. Und eines Tages wird der Lebensweg auch einmal zu Ende sein, so wie jeder Wanderweg endet und wie es Gerhard Tersteegen in einem seiner Lieder beschreibt:

“Ein Tag, der sagt dem andern, mein Leben sei ein Wandern  zur großen Ewigkeit.
O Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit.”