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Anstand

Weil sie Porno-Filme ohne Untertitel zeigt, hat ein gehörloser Mann in  New York jetzt eine Internetplattform verklagt. Das sei ein Verstoß gegen den Americans with Disabilities Act – ein US-Gesetz, das Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung schützen soll.

Ich war bisher immer davon ausgegangen, die Spritzigkeit der Dialoge sei bei Pornos von untergeordneter Bedeutung. Der Kläger sieht das anders. Insbesondere bei den Filmen “Sexy Polizistin bringt Zeugen zum Reden”,  und “Heiße Stieftante babysittet ungehorsamen Neffen” habe er der Handlung nicht mehr folgen können. Entsprechend vermindert sei der Genuss der Filme gewesen.

Ich bilde mir ein, nicht prüde zu sein. Ob der Mann Pornos guckt oder nicht, ist mir ziemlich wurscht. Aber ich finde es grundsätzlich schwierig, wenn Sex zur Ware zu gemacht wird. Ich bin nicht naiv. Natürlich weiß ich, das geschieht überall. Aber die zumindest gefühlten Makel dann zu reklamieren wie ein fehlerhaftes neues Küchengerät? Irgendetwas rebelliert da gegen mein Gefühl für – Anstand.

Anstand ist der als selbstverständlich empfundene Maßstab für gutes und richtiges Verhalten. Und der ist streng zu unterscheiden von der persönlichen Gesinnung.

Ich darf in einem freien Land gegen Migration sein, aber es ist unanständig, sich mit anderen vor der Flüchtlingsunterkunft zusammenzurotten und die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen.

Ich darf negativ über diese oder jene Politikerin denken, aber es ist unanständig, sie im Internet übel zu beschimpfen.

Ich darf mich auch über fehlende Untertitel bei Pornos ärgern, aber ich finde es unanständig, dagegen zu klagen. Weil diese Geschäftsmäßigkeit den Zauber der Sexualität, von mir aus auch der schmuddeligen Sexualität, zunichte macht. Und das ist nicht gut.

Anstand heißt auf lateinisch decorum. Unser Wort decor kommt daher. Und tatsächlich habe ich das Gefühl, dass Anstand zur Deko verkommt. Nice to have, aber es geht auch ohne. Nein, finde ich, es geht nicht ohne.