Beiträge

Angesagt

O mein Gott! Das ist einer der absolut angesagtesten Sprüche heutzutage. Je profaner die Situation, umso inflationärer seine Anwendung. O mein Gott ist vielseitig einsetzbar, für größtes Entzücken, maßloses Entsetzen, grenzenloses Überraschtsein, kurz: für die Steigerung jedweden Dramaeffekts. Mit kleinen Pausen kann man noch mehr Nachdruck verleihen: O – mein – Gott.

Der Ausruf ist überkonfessionell, sogar religionsumspannend, und wird auch gerne von Atheisten verwendet.

Eines aber ist O mein Gott nicht mehr: Anrede Gottes. Obwohl es nichts anderes ist. In einem Psalm wendet sich ein verzweifelter Beter an seinen Herrn: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? sagt er. Und genau diese Worte verwendet später Jesus am Kreuz. Ja, es gibt wirklich nur diese zwei Stellen in der Bibel, wo jemand ruft: Mein Gott! So sparsam ging man damit um. Für so einen Ausruf brauchte es einen echten und tiefen Grund. Das schrie man nicht einfach so.

Jener Psalmbeter fühlt sich ganz und gar verlassen. Und obwohl er Gott ruft, er antwortet nicht. Dabei hat Gott doch schon so viele gerettet. Nur ihn nicht, den armseligen Wurm. Jetzt erhebt er noch einmal seine Stimme und ruft seinen Gott. Und irgendwie hört sich’s an, als wäre er sicher, dass Gott doch noch eingreift. So wie bei dem Mann am Kreuz. Der ist zwar gestorben, aber dabei blieb es ja nicht.

Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das ist kein resignierter Schrei, sondern ein letzter großer Ruf um Hilfe. Und heute? Nur noch Floskel, sinnentleerte Redewendung. Eins wüsste ich gerne: Was rufen Sie, wenn Sie den Himmel um Hilfe anflehen?