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And so we pray

Ich mache das Radio an. Die amerikanische Band Coldplay singt mit einigen befreundeten Musikern: And so we pray. Übersetzt: „Und so beten wir“. Der Text ist ein endloses Bittgebet – mit Beat. Ich bin begeistert. Pray, that we make it to the end of the day – wir beten, dass wir genug Kraft bis zum Ende des Tages haben. Ja, da stimme ich absolut zu. Brauche ich auch. Kraft, manche Tage zu überstehen.

Das Thema „Beten“ schafft es übrigens immer mal wieder in die Pop-Charts. Vor allem mit englischem Text. Say a little prayer for you von Aretha Franklin, aber auch Living on a prayer von Bon Jovi. Beten scheint nicht peinlich zu sein. Anders, als noch in der Kirche zu bleiben. Oder gar zu offenbaren, dass man sonntags in den Gottesdienst geht. Beten – das ist okay. Das machen Profifußballer, Schauspielerinnen, Musiker und auch Leute aus der Politik. Wie vor Weihnachten nach dem schrecklichen Anschlag in Magdeburg auf dem Weihnachtsmarkt. Offene Kirchen, Kerzen zum Gebet, Seelsorge gratis. Beten gehört in Krisen dazu.

So auch bei einem meiner Freunde. Er glaubt nicht an Gott. Und trotzdem berührt es ihn, wenn ich ihm schreibe: „Hey, heute habe ich für dich gebetet.“ Das kann er nämlich gerade gut gebrauchen. Er sucht dringend eine Arbeitsstelle. Muss Klinken putzen und sich dabei oft in Demut üben. Er spürt gerade am eigenen Leib: Nicht alles ist machbar, Menschen scheitern manchmal mitten im Leben.

Beten hat etwas mit einem Gegenüber zu tun, es ist kein Selbstgespräch im Wald oder im Auto. Ein Gegenüber, das aber nicht sichtbar ist. Und doch mit ganz viel Erwartung an diese unsichtbare Kraft.

Wann bete ich eigentlich? Wenn ich meine, keinen Einfluss mehr zu haben, keine Idee, wie es weiter gehen soll. Klar, manchmal danke ich Gott auch aus tiefem Herzen. Das Gebet mit einer Bitte ist ein bisschen anders. Es hofft, es glaubt, es vertraut. Dass wirklich jemand zuhört. Wie im echten Leben. „Hörst du mir eigentlich zu“ frage ich manchmal in meiner Familie. Ich habe dann den Eindruck, dass alle nur so tun als ob, aber eigentlich mit etwas ganz anderem beschäftigt sind. And so we pray – was bleibt mir eigentlich anderes übrig, würde ich gerne Coldplay fragen. Wer soll in dieser Welt den Durchblick behalten? Wer soll für mein Leben wissen, was ein guter Plan für die nächsten Jahre ist? Beten ist Vertrauen, genau wie glauben. Glauben können ist ein Geschenk fürs Herz. Glauben zu können kann ich nicht verordnen, reglementieren, oder durch eine gute Argumentationskette herbeireden. Deshalb bete und glaube ich manchmal für andere stellvertretend mit. Auch für gute Freunde in schwierigen Situationen.

Aber eben nicht nur ich bete. Das Schöne ist doch, dass mich das Beten mit anderen Religionen und Glaubensgemeinschaften verbindet. Beten ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner. And so we pray. Wir in den ganz unterschiedlichen spirituellen Gemeinschaften beten für Frieden, Gerechtigkeit und unsere verletzliche Erde. Wir beten für Kraft und Mut, für unsere eigenen Möglichkeiten zur Veränderung. Damit bin ich beim Beten in eine große, betende Familie eingebunden. Eine Schwester unter vielen anderen Betgeschwistern. Ja, klingt seltsam, tut mir aber gut.

Nicht immer finde ich beim Beten die richtigen Worte, macht aber nichts. Dafür singe ich dann manchmal, oder ich bin einfach mal still. Aber das kommt bei mir eher selten vor. Es gelingt mir manchmal in Taizé, einem ökumenischen Kloster in Burgund. Schweigen, singen und hören.

Jetzt höre ich mir gleich nochmal Coldplay an, verbinde mich mit der großen Welt da draußen und singe mit: And so we pray.