Advent steht vor der Tür
Der erste Advent steht vor der Tür. Für die Kirchen mit ihm auch das Neujahrsfest, denn am ersten Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Das alte hat sich mit Bildern verabschiedet, so widersprüchlich, dass sie zum Himmel schreien. Während Papst Franziskus in Rom ein Jahr der Barmherzigkeit beendet, gehen in den Krankenhäusern von Aleppo die Lichter aus. Während sich meine evangelische Kirche an Martin Luthers Wiederentdeckung eines barmherzigen Gottes erinnert, wählen fromme Protestanten in den USA das „Wir-Zuerst-Programm“. Barmherzigkeit? Weltpolitisch war sie im vergangenen Jahr ein Ladenhüter. Dem politischen Egoismus sind die Herzen zugeflogen.
Und nun? Was kommt im Neuen Jahr? Wird die Zivilisation im Rückwärtsgang beschleunigen? Ich weiß es nicht. Aber ich glaube daran, dass es hilft, meiner Klasse aus Flüchtlingen weiter Deutsch beizubringen. Ich glaube auch daran, dass es gut sein wird, im Streit fünfe gerade sein zu lassen. Genauso, wie denjenigen zu umarmen, der alleine dasteht. Zu lieben, wird nicht falsch werden. Den widersprüchlichen Bildern des alten Jahres werden bestimmt neue folgen. Aber was, wenn es ihnen gelänge, mir das offene Herz zu rauben?
Advent heißt Ankunft. Und diese Ankunft meint nicht nur, dass die Besinnlichkeit der Weihnachtstage näher rückt. Wer Advent feiert, der freut sich über den versprochenen Morgen am Ende der Nacht, die Ankunft Jesu Christi in dieser Welt. Ich sehe das sehr nüchtern und erwarte keine Wunder. „Christus adveniat“, Christus kommt, das ist eine Ansage. Zu ihrer Erfüllung kann noch eine halbe Ewigkeit vergehen. Aber das enttäuscht mich nicht. Denn allein die Hoffnung auf das Kommen Christi lässt Menschen auch jetzt und hier schon ziemlich mutige Dinge tun. Lässt sie das Kettenhemd ausziehen, die Hand reichen, helfen ohne Argwohn, barmherzig sein.
Unter solchem Mut verändert sich auch schon die Welt, in der wir leben. Manchmal zweischneidig, manchmal kaum erkennbar, manchmal auch widersprüchlich. Aber genau so, glaube ich, hilft der kommende Christus dem Lauf der Dinge auf die Spur. Auch im Neuen Kirchenjahr. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Advent.