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Hören und Sehen vergangen

Sie kennen sicher diese drei japanischen Affen – nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Die drei sind mir derzeit sehr sympathisch.

Denn ich sehe, was ich eigentlich nicht mehr sehen will: unfassbar zerstörte Städte in der Ukraine, Leichen auf den Straßen, Massengräber. Den hassverzerrten Putin an seinem langen Tisch. Die leeren Regale in den Supermärkten, Diagramme mit einer Preiskurve, die steil nach oben zeigt.

Ich höre, was ich eigentlich nicht mehr hören will: die kriegerische Sprache von Politikern, die sich gegenseitig überbieten in scharfen Worten. Die schrillen Warnungen vor wirtschaftlichem Abschwung. Und wie der Krieg den Klimawandel nun wohl endgültig unabwendbar macht.

Und ich möchte auch gar nicht mehr über das alles sprechen. Denn dann verheddere ich mich zwischen dem Gefühl, es muss zurückgeschlagen werden – und meinem Wissen, dass Waffen doch keinen Frieden schaffen, sondern nur Gewalt eindämmen und Schlimmeres verhüten können. Stumm und ohnmächtig ertrage ich die verstörenden Bilder und die markigen Parolen.

In der Bibel sagt der Prophet Micha: „Ohnmächtig sollen die Völker zuschauen müssen trotz all ihrer Macht, es soll ihnen die Sprache verschlagen, Hören und Sehen sollen ihnen vergehen.“ Selten waren über 2500 Jahre alte Worte so aktuell.

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen – die drei japanischen Affen stehen bei uns in der westlichen Welt für ein Nicht-Wahr-haben-wollen des Schlechten. Für mangelnde Zivilcourage, die die Probleme nicht angeht. Aber in der östlichen Welt haben die drei Affen eine andere, eine positive Bedeutung. Sie geben nämlich den Ratschlag: Sei weise, schau über Schlechtes hinweg! Lass dich nicht von Negativem beherrschen!

Wenn ich den Ratschlag der drei annehme, dann heißt das:

ich lasse mich nicht mehr von den schrecklichen Bildern aus der Ukraine lähmen. Sondern blicke auf die große Hilfsbereitschaft vieler Menschen, gehe auf Geflüchtete zu.

Ich stimme nicht in den Chor der Scharfmacher ein, werde nicht selbst aggressiv und ungerecht. Sondern höre die besonnenen Stimmen, spreche eine andere Sprache, trete der Diskriminierung, etwa von Russlanddeutschen, und überhaupt allem platten Freund-Feind-Denken entgegen.

Ich denke, dass kann ein Weg aus der Ohnmacht sein.

 

Sie können das Video zum Beitrag unter der folgenden Adresse anschauen:

https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=115123