In wenigen Minuten

In wenigen Minuten beginnt in der Evangelischen Kirche in Saarlouis der Trauergottesdienst für Simon B.. Er war Polizist. Eine Tankstelle wird überfallen, er verfolgt den Täter. Der schießt auf ihn. Sechs Kugeln treffen ihn. Das hat er nicht überlebt. Seine Frau und die zwei Töchter müssen jetzt ohne ihn weiterleben. Er wurde 34 Jahre alt.
Das grausame Geschehen hat viele Menschen erschreckt: die wilde Schießerei mitten in Völklingen, das jugendliche Alter des Täters, dessen unfassbare Brutalität. Und das wegen einer Beute von nur ein paar Hundert Euro.
Doch beim Erschrecken ist es nicht geblieben. Viele Menschen sind tief berührt und haben das Bedürfnis, ihr Mitgefühl auszudrücken: mit Blumen vor der Polizeidienststelle, durch Teilnahme an einer Schweigeminute, Eintrag ins Kondolenzbuch der Staatskanzlei. Und mit Spenden für die junge Familie. Es kam in bemerkenswert kurzer Zeit eine große Summe zusammen.
In wenigen Minuten beginnt nun der Trauergottesdienst. Mein Pfarrerkollege dort wird mit den Worten ringen. Dabei in Gesichter blicken, die versteinert sind. Oder in Tränen aufgelöst. Vielleicht steht auf dem Altar das Bild, das ich in der Traueranzeige der Familie gesehen habe. Es zeigt den Getöteten im Leben, ein freundlich lächelnder Mann im Sonnenschein. Darüber steht: „Keine Worte können beschreiben, wie furchtbar unser Schmerz ist. (…) Wir hätten dich noch so sehr gebraucht.“
Es wird auch zur Sprache kommen, dass Simon B. sein Leben im Dienst für die Gesellschaft verloren hat. Für unsere Sicherheit. Dass er seinen Beruf als Polizist liebte. Und auch die Risiken kannte. Wieder bringt einer aus unserer Mitte dieses Opfer im Dienst für die Allgemeinheit. Die Gewalt gegenüber Polizisten, auch Rettungskräften und Feuerwehrleuten, die nimmt zu. Es wird sicher auch wieder aufgefordert werden, sich weiter dem zunehmenden Hass entgegenzustellen. Wie Simon B. es getan hat. Doch ich denke: das ist kein rechter Trost für die, die ihn noch so sehr gebraucht hätten. Als Vater, als Mann. Mir fällt es überhaupt schwer, den Verlust dieses einen, unverwechselbaren, einzigartigen Menschen dadurch, ja, wie soll ich sagen: zu rechtfertigen? gar als letztlich unvermeidbar und notwendig darzustellen? Und bedauernd festzustellen: Manchmal trifft es halt einen der Polizisten…
Heinrich Heine hat in seinen Reisebildern von 1830 geschrieben: Aber ach! jeder Zoll, den die Menschheit weiter rückt, kostet Ströme Blutes; und ist das nicht etwas zu teuer? Ist das Leben des Individuums nicht vielleicht eben so viel wert wie das des ganzen Geschlechtes? Denn jeder einzelne Mensch ist schon eine Welt, die mit ihm geboren wird und mit ihm stirbt, unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte.
In wenigen Minuten beginnt der Trauergottesdienst. Wie die Menschen, die dort sprechen werden, ringe auch ich um Worte. Viele Menschen erwarten, dass jemand doch bitte dem Tod eines geliebten Menschen einen Sinn gibt. Aber der Tod dieses Polizisten – wie soll darin Sinn liegen? Ich mag auch nicht meinem Gott zuschreiben, dass der einen – uns verborgenen – Sinn in diesem Tod kennt.
„Keine Worte können beschreiben, wie furchtbar unser Schmerz ist…“ Die kleine Familie, deren wichtiger Teil weggebrochen ist, braucht jetzt Begleiter und Begleiterinnen, die mit ihnen zusammen den nicht beschreibbaren Schmerz aushalten. Einfach da sind. Auch mal schweigend. In diesem Schweigen wird der Gott, an den ich glaube, mit ihnen sein.