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Schatten

Neulich hab‘ ich mich mal wieder trotz der angekündigten 36 Grad im Schatten in die Innenstadt getraut. Natürlich nicht grundlos – ich hatte schon seit Tagen so richtig Lust auf ein Eis. Denn irgendwie muss man sich bei dem Wetter ja abkühlen. Was ich allerdings nicht bedacht hatte: Diesen Schatten, von dem im Sommer immer alle reden, den muss man auch erstmal finden.

Schon der Weg vom Parkplatz war ein kleiner Marathon. Kein Baum, kein Vordach, nur flirrende Luft über heißem Pflaster. In der Fußgängerzone hat die Mittagssonne erbarmungslos zugeschlagen. Und ich – mittendrin. Mit dem Gefühl, dass meine Schuhe gleich schmelzen würden. Irgendwie hatte ich mir das angenehmer vorgestellt: Ein gemütlicher kleiner Stadtbummel, ein Eis auf die Hand, vielleicht irgendwo sitzen und Leute beobachten. Stattdessen: Hitzestau zwischen Betonwänden und das Gefühl, dass mein Körper so langsam aber sicher auf Notbetrieb umschaltet.

Als ich dann endlich ein Eis in der Hand hatte – eine Kugel Schokolade in der Waffel – fing der eigentliche Wettlauf mit der Zeit erst an. Denn jetzt musste ich schneller sein als die Sonne, damit sich mein langersehntes Eis nicht sofort in Soße verwandelt. Irgendwo musste es doch ein bisschen Schatten geben?

Ich wollte schon fast aufgeben, als ich ihn endlich fand: Einen fast unscheinbaren Streifen Schatten. Direkt an der Kirchenwand. Und sogar mit einer Bank davor. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Nassgeschwitzt habe ich mich auf die Bank fallen lassen. Das Eis mittlerweile ein wenig deformiert, aber immer noch lecker. Und in diesem Moment – da wurde alles ruhig. Kein Lärm. Kein Rennen. Kein Kleckern. Nur ich, mein Eis, und dieser kühle Streifen Schatten. An sich eigentlich nichts Dramatisches. Nichts Weltbewegendes. Aber für mich das absolute Glück auf Erden.

Seitdem denke ich öfter mal über Schatten nach. Nicht über die, die wir selbst werfen. Sondern über die, die wir absichtlich suchen. Und ich merke: Ich sehne mich immer öfter nach Ihnen, als ich zugeben will. Denn nicht nur der Sommer ist zu heiß. Auch die Welt ist es. Und manchmal auch mein Leben.

Überforderung. Schlechte Nachrichten, Streit, Krisen, Kriege, schlaflose Nächte. Immer neue Herausforderungen und immer dieses Gefühl trotz allem, trotz der Hitze, einfach funktionieren zu müssen. Und manchmal, manchmal ist einfach alles zu viel. Da sehne ich mich nach einem Ort, an dem es leiser wird. Nach einem Ort, an dem es kühler wird. Wo ich nicht stark sein muss. Nicht erreichbar sein muss. Da sehne ich mich nach einem Ort, an dem ich einfach mal durchatmen kann. Einer im Schatten. Am besten mit einer Bank zum Hinsetzen – und um ein Eis zu schlecken.

In der Bibel heißt es: „Du, Gott, birgst mich im Schatten deiner Flügel.“ Früher habe ich über solche Verse öfter mal hinweggelesen. Schatten. Das klingt zu sehr nach Dunkelheit. Nach Enge. Nach Rückzug. Vielleicht sogar nach Schwäche. Und wer will denn schon im Dunkeln stehen?

Heute lese ich diesen Satz aber anders. Gerade jetzt im Hochsommer. Gerade dann, wenn die Hitze zu viel und die Luft zum Atmen knapp wird. „Du, Gott, birgst mich im Schatten deiner Flügel.“ Eigentlich ein wirklich starkes Bild: Gott ist nicht nur Licht. Gott ist auch Schatten. Nicht im Sinne von Dunkelheit, sondern im Sinne von Schutz. Von Geborgenheit. Von Erholung. Ein schattiger Gott mit einem schattigen Plätzchen. Und Platz für mich, wenn ich eine Pause brauch.

Ganz so wie damals der kühle Schatten an der Kirchenwand mit seiner Bank. Mitten in der Gluthitze. Ein Ort zum Aufatmen und Krafttanken. Und zum Eisessen.