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Wo soll ich denn leben?

Neulich beim Sonntagskaffe hat unsere zwölfjährige Enkeltochter schon mal das Erbe verteilt: „Mama und Papa bleiben in ihrem Haus, und ich kriege das Haus von Oma und Opa.“ Und präsentierte auch gleich ihre Umbaupläne.

Mit meinem schüchternen Einwand, dass wir ja noch leben und durchaus noch auf das eine oder andere gute Jährchen hoffen, konnte ich nicht wirklich durchdringen.

Keiner hatte bis dahin auf den kleinen Bruder geachtet, der plötzlich schluchzend fragte: „Wo soll ich denn leben?“

Dass ein wohlbehütetes vierjähriges Kerlchen eine solche Zukunftsangst entwickeln kann, hat mich umgehauen. Seine große Schwester hat ihm dann versichert, dass sie an dem alten Haus von Oma und Opa nicht wirklich ein Interesse hat. Da war er beruhigt.

Wo soll ich denn leben? Diese Frage kommt mir seither ständig in den Sinn. Wenn ich sehe, wie Familien in Gaza unter einer verschlissenen Zeltplane hausen. Wenn ich lese, dass sich Migranten in den USA verstecken, aus Angst vor dem Abschiebelager oder einem KZ in El Salvador. Und auch, wenn ich die Migrationsdebatte bei uns verfolge. Ich bin nicht naiv. Wir können nicht die ganze Welt aufnehmen. Aber die Gnadenlosigkeit des einen oder anderen Beitrags zur Debatte verstört mich zutiefst. Etwa wenn das Recht auf individuelles Asyl in Frage gestellt wird.

Es gibt auf all‘ diese Fragen keine einfachen Antworten. Aber es geht immer um Menschen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir das Recht der Frage anerkennen würden: Wo soll ich denn leben?