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Jingle Bells

Welche Töne bringen mir die Weihnacht näher? Vom Lutherlied über Bachs Oratorium bis hin zu „Last Christmas“: Das Angebot weihnachtlicher Musik kennt keine Ufer. Manche Me­lodie geht mir allerdings schon im Advent so ziemlich auf die Ohren, zumal, wenn sie gar nicht vom Christkind singt. Oder bin ich ungerecht?

„Jingle Bells“ zum Beispiel. Rhythmische Glöckchen, trabendes Pony, Schlittenfahrt im Schnee. Jingle Bells ist die akustische Unterschrift der Weihnachtszeit. Aber wie kam es ei­gentlich dazu?

Über die Entstehung streiten sich – ganz unchristlich – zwei Städte in den USA. James Lord Pier­pont veröffentlichte die Noten 1857 in Boston. Ob er aber sein Lied bereits sechs Jahre frü­her gespielt hatte, nämlich beim Besuch einer Lady in Medford, Massachus­etts, die angeblich das einzige Klavier der Stadt besaß? Oder ob er „Jingle Bells“ als Chorlei­ter einer Kirchengemeinde in Savannah, Georgia, zu Thanksgiving 1857 erstmals singen ließ? Darüber bekamen sich die Bürgermeister von Medford und Savannah einst so kräftig in die Wolle, dass es seitdem zwei Entstehungsmythen gibt.

Was der Frage nach dem Weihnachtsbezug des Liedes noch mehr Dringlichkeit verleiht. Tatsächlich kommt das Wort Weihnachten in „Jingle Bells“ kein einziges Mal vor. Vielmehr geht es um junge Männer, die mit Pferdeschlitten durch den frischen Schnee preschen, um da­mit Mädchen auf ihren Kutschbock zu locken. Ziemlich halbstark! Das passt nicht im Ansatz zu Kind und Krippe. Ja nicht einmal zum Rentiergespann des auch nicht besonders bibli­schen Weihnachtmanns. Und trotzdem kommt niemand drum herum: „Jingle Bells“… ist und bleibt Weihnachten. Nur… warum?

Vermutlich liegt es an dem Punkt, an dem alles zusammenkommt. Ich meine diesen Ort im Herzen des Menschen, den kein Mediziner jemals finden wird. Den Brennpunkt der Seele, dort, wo die Botschaft vom neu geborenen Heiland in der Krippe und alle ungesagten Sehn­süchte zu einem untrennbaren Ganzen verschmelzen. Es geht um Frieden – im Inneren wie in den Beziehungen. Um Frieden im Kleinen wie im Großen. Frieden heute Abend, hier und jetzt.

Das Pony trabt durch die kalte, windstille Nacht. Der Schnee dämpft alle Geräusche, bis nur noch die Glocken übrigbleiben. Wie ein Filter, der das Wüten der Welt für einen Augenblick ausblendet. Ebenso filtert die Hoffnung auf eine stille Weihnachtsnacht alle Armut und Friedlosigkeit aus der Geschichte vom Christuskind. Am Ende bleiben Hoffnung, Glaube und eine Ahnung von Gottes Menschenliebe übrig – wenigstens für den Augenblick. Jingle Bells und Jesus Christus – ich glaube, sie treffen sich immer dort, wo Menschen vom Kriegslärm der Welt müde sind und sich geborgen fühlen wollen. Fürchtet Euch nicht!

Endgültig zum Weihnachtshit wurde „Jingle Bells“ schließlich durch Glenn Miller, den legen­dären Posaunisten. Am Heiligabend 1941 entstand seine Swing-Aufnahme von Jingle-Bells, die um die Welt ging – keine drei Wochen nach dem Angriff auf Pearl Harbour. Diese Musik ist Friedenssehnsucht pur – am Anfang eines Weltkriegs.

Glenn Miller schloss sich kurz danach der US-Army an, um für Soldaten in Europa zu spielen. Am 15. Dezember 1944, morgen vor achtzig Jahren, verliert sich seine Lebensspur im Schnee der Kriegsereignisse. Sein Flugzeug verschwand über dem Ärmelkanal. Zeit, nach ihm zu suchen hatte damals niemand. Das Sterben war alltäglich.

Am Heiligen Abend 1944 erklärte man den Ausnahmemusiker für tot, so wie tausende andere junge Männer, die nicht mehr gefunden wurden. Im Schmerz darüber bringt „Jingle Bells“ selbst mir die Weihnachtshoffnung näher: Friede auf Erden!