Ich hab‘ Rücken

Neulich hat es mich mal wieder gebeugt. Und ich hab‘ mich erinnert, wie es anfing. Es ist viele Jahre her, aber ich weiß es noch genau: die schweren Eichenbänke in der Saarbrücker Johanneskirche hatte ich mal wieder herumgeschoben, da spürte ich einen stechenden Schmerz im Rücken. Beachtet habe ich das zunächst nicht. Erst, als es unerträglich wurde. und ich kaum mehr wusste, ob ich stehen, sitzen oder liegen soll, machte ich mich auf den Weg zum Orthopäden. Der teilte mir die Diagnose mit: Bandscheibenvorfall. Ich erschrak: „So, jetzt hast du deine chronische Krankheit. Ich hab jetzt Rücken, Schätzelchen.“
Über meinen Körper habe ich mir vorher wenig Gedanken gemacht. Er hat funktioniert; dass es Grenzen der Belastbarkeit gibt – nie daran gedacht. Ich fühlte mich zu allem fähig. Doch von nun an zwang mich der Vorfall, über meine Grenzen nachzudenken. Spritzen, Elektrotherapie und Krankengymnastik forderten Zeit und Aufmerksamkeit. Das wirkte schließlich. Aber wie vorher wurde es nie mehr; denn kaum waren meine Schmerzen weg und ich wurde wieder unvorsichtig, da legte der stechende Schmerz im Rücken mich erneut lahm. Jeder neue Vorfall lehrte mich schmerzhaft zu akzeptieren: es gibt Grenzen, die hast du jetzt erreicht. Die kannst du einfach nicht überschreiten.
Und so lernte ich langsam und mit kleinen und großen Rückfällen: untätig neben meiner Frau zu stehen, die den Bierkasten auf dem Parkplatz des Supermarktes in den Kofferraum unseres Autos lädt. Und dabei die vermeintlich oder wirklich abschätzigen Blicke der Passanten auszuhalten. Lernte die Belastung in Beruf oder Privatleben in Beziehung zu setzen mit den Wirbeln im Rücken. Lernte nachzudenken über den – vielleicht etwas esoterisch anmutenden – Zusammenhang von Rückenerkrankung und dem großen Thema „Demut“. Mein Körper beugt mich ganz konkret, wenn ich diese christlich geforderte Haltung mal wieder vergessen habe.
Inzwischen empfinde ich meinen Bandscheibenvorfall als zusätzliches Organ. Er macht mir unmissverständlich klar: „Es reicht. Du übernimmst dich. Sei bescheidener, erkenne deine Grenzen, bilde dir nicht zu viel auf deine Leistungsfähigkeit ein – es ist nicht nötig und überhaupt nicht gut, über deine Grenzen hinauszugehen.“
Mir ist aufgefallen: Viele Männer haben einen Bandscheibenvorfall. Natürlich kommt wie bei mir zu viel Sitzen und zu wenig Sport dazu. Es besteht aber sicher auch ein Zusammenhang zu gewissen männlichen Idealen und Verhaltensweisen: erfolgreich, stark, leistungsorientiert. Ich denke, die weit verbreiteten Rückenerkrankungen haben sogar noch eine größere Dimension. Übermäßige Leistung wird gefordert und unmäßig honoriert. Kein Wunder, dass die Körper der derart Angespannten reagieren, empfindsam reagieren. Letztlich fehlt es an Demut und Bescheidenheit. Stattdessen überschreitet diese Gesellschaft als Ganzes permanent Grenzen. Betreibt Raubbau.
Das hat für mich auch eine religiöse Dimension. Wenn Gott mein ganzes Leben umfasst, dann natürlich auch meinen Körper. Und es hat mich schon erschrocken, wie mir der Vorfall klar machte: Du hast noch viel zu lernen über den sanften Erlöser, dessen Joch so ganz anders ist als das Joch dieser Welt, das dir den Kampf um Erfolg und Macht schwer aufs Kreuz legt.
Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Jesus im Matthäusevangelium.