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Sieh das Herz an!

Die Sommerferien stehen vor der Tür und damit morgen auch der Tag der Zeugnisse im Saarland und in Rheinland-Pfalz. Dieses Jahr wird es ein besonderer Zeugnistag sein – am Ende eines besonderen Schuljahres.

Zu Zeugnissen hatte ich schon als Kind ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits war ich stolz auf gute Noten. Aber in Sport und Kunst konnte ich mich anstrengen, wie ich wollte. Da hat es nie weit gereicht. Und dann hat mich nicht die Drei oder Vier gefuchst, sondern die Not, mit einem Urteil über mich leben zu müssen. Einem Urteil, das ich kaum in der eigenen Hand hatte und dass trotzdem den Anspruch erhoben hat, mich zu bewerten.

Die eigene Note kaum in der Hand – das hatten in diesem Schuljahr leider viele Schülerinnen und Schüler. Shutdown und Wechselunterricht haben monatelang die Stundenpläne durcheinandergewirbelt. Das Homeschooling hat Spuren hinterlassen. Während die einen ihren Vormittag recht gut meistern konnten, am eigenen Computer-Arbeitsplatz mit Unterstützung der Familie, mussten andere mit wenig Hilfe und oft nur am Handy arbeiten. Und dort, wo Eltern schon mit ihrem Alltag in Corona-Zeiten alle Hände voll zu tun hatten, sind viele Jugendliche über Nacht im Internet versunken, um spät vormittags erst wieder aufzuwachen.

Die tieferen Folgen dieser Monate werden sich noch zeigen. Offensichtlich sind hingegen die Zensuren, die schon morgen früh mit nach Hause gebracht werden. Als Schulpfarrer habe ich erlebt, wie gerade die Jugendlichen ohne Unterstützung und angemessene technische Ausstattung abgerutscht sind, ja bisweilen gar nicht mehr erreichbar waren – trotz großer Anstrengungen der Schulen. Und so weiß ich, dass manch miese Note morgen früh nur in Grenzen etwas über den jungen Menschen sagen wird, der mit ihr nach Hause gehen muss. Aber viel von den Verhältnissen erzählt, unter denen er lebt.

Für dieses Jahreszeugnis gilt darum ganz besonders, was für alle Zeugnisse immer gelten wird: Sie sind nur ein sehr begrenzt aussagefähiger Spiegel, in dem sich alles Mögliche reflektiert, aber sicher nicht der Wert des Menschen, dessen Name obendrauf steht. „Der Mensch sieht, was vor Augen ist“, heißt es in der Bibel, „Gott aber sieht das Herz an“. Wer morgen vielleicht als Mutter, Vater, Oma oder Opa ein Zeugnis unter die Nase gehhalten bekommen wird, möge sich daran erinnern, und Gottes Blickwinkel ausprobieren.

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https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=104967