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Das, was Du ersehnst

Die Aussicht aus dem Fenster ist trüb. Nebel macht den Blick unscharf. Alles erscheint nur schemenhaft. Als ich mich an diesem grauen Wintermorgen an den Schreibtisch setze, habe ich vor allem Sehnsucht nach Licht. Nach klarer, strahlender Helligkeit. Ich greife nach einem Buch – Schmökern geht immer auch an Tagen wie diesen –  und stoße auf die Worte von Joachim Ringelnatz, einem Dichter vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich lesen die Ballade mit dem Titel:  “Und auf einmal steht es neben dir”

 

Und auf einmal merkst du äußerlich:

Wie viel Kummer zu dir kam,

wie viel Freundschaft leise von dir wich,

alles Lachen von dir nahm.

 

Fragst verwundert in die Tage.

Doch die Tage hallen leer.

Dann verkümmert deine Klage,

du fragst niemanden mehr.

 

Lernst es endlich, dich zu fügen,

von den Sorgen gezähmt.

Willst dich selber nicht belügen

Und erstickst es, was dich grämt.

 

Sinnlos, arm erscheint das Leben dir,

längst zu lang ausgedehnt.–

Und auf einmal–: steht es neben dir,

an dich angelehnt –

was? Das, was du so lang ersehnt.

 

Die Worte dringen durch das Trübe dieses Morgens mit viel Wärme an mein Herz. Ja, es ist wahr: Manchmal ist alles Heitere, alles Leichte so weit entfernt, scheint unerreichbar. Und dann, plötzlich, steht es doch einfach neben mir. Auch wenn Ringelnatz nichts Konkretes nennt oder erklärt: Es wärmt mein Herz zu erfahren, dass ich nicht weit weg von mir suchen oder gar auf die Frühlingssonne warten muss, um die trübe Morgenstimmung zu durchbrechen. Genau diese Erfahrung wünsche ich  Ihnen auch: Gott segne Sie mit der sanften Berührung des Ersehnten an einem Tag, der trüb beginnt. Gott lasse sein Angesicht leuchten über Ihnen und gebe Ihnen Frieden. Das bedeutet im Sinne Ringelnatz´: bis die Sonne dir wieder lacht, lass es zu, dass dich einer durch die Trübnis geleitet – angelehnt genau an Dich, auch heute!