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Stille Auszeit

„Der Zustand der Welt ist krank. Wenn ich Arzt wäre und man mich fragte: Was rätst du? Ich würde antworten: Schaffe Schweigen.“ Vor fast 200 Jahren hat der dänische Philosoph Sören Kierkegaard diesen Satz gesagt.

Ich sinniere über seine Worte während ich mich am Salatbüffet im Kloster Arenberg bediene. Als mein Teller voll ist, entscheide ich mich für den Speisesaal, in dem die Gäste im Schweigen essen können. Vom anderen Speisesaal dringt fröhliches Plaudern herüber. Morgen werde ich vielleicht wieder Gesellschaft suchen. Heute genieße ich es, für mich zu sein. Meine Entscheidung, eine Auszeit zu nehmen, ist in einem jener Momente gefallen, als mir vor dem Zustand unserer Welt von heute gegraut hat. Außerdem war es schon lange an der Zeit, der Beschleunigung in meiner eigenen kleinen Welt etwas entgegenzusetzen. Mehr als ein Wochenende war allerdings nicht drin, kurz vor Jahresende. Besser als nichts.

Kloster Arenberg bei Koblenz wird gerne mit dem Etikett „Wellness-Kloster“ versehen. Was sich dahinter verbirgt, ist ein ganzheitliches Konzept, das ernst macht mit dem Gedanken, dass Leib, Geist und Seele eine Einheit sind. Wer an Geist und Seele gesund sein will, muss auch gut zu seinem Körper sein. Das Dominikanerinnen-Kloster hatte bereits eine Tradition als Kneipp-Sanatorium, an die es angeknüpft hat. Seit einigen Jahren ist es nun ein Ort, an dem Gäste von nah und fern Kraft tanken.

Als ich ankomme, bin ich überrascht, wie licht und modern die Eingangshalle gestaltet ist. Ich warte im Klostercafé, bis mein Zimmer bereit ist. Es hat nichts von einer kargen Klosterzelle. Nur der Fernseher fehlt. Nein, stimmt nicht: Er wird mir in den nächsten drei Tagen nicht fehlen. Ich zögere kurz, als ich lese, dass ich mir den WLAN-Code geben lassen könnte. Ich versuche es mal ohne und lasse das Tablet im Koffer. Schon von zu Hause aus habe ich einige Angebote im Vitalzentrum des Klosters gebucht: Wassergymnastik, eine Klangschalenmassage. Rund um das Gästehaus entdecke ich ein weitläufiges Grundstück mit mehreren Gebäuden, einem Kräutergarten, Streuobstwiesen, einer Schafweide. Die Zeit reicht nicht, um alles zu erkunden.

Früh am Morgen gehe ich schwimmen und gleich danach zur Andacht. Von der Gästekapelle unter dem Dach reicht der Blick weit hinüber nach Koblenz und zum Rhein. Nach der erfrischenden Bewegung im Wasser fühlt es sich an, als hätten sich alle Poren geöffnet für den geistlichen Impuls und das gemeinsame Singen. Es sind viele zur Andacht gekommen. Manche hantieren unsicher mit dem Gesangbuch. Keine Kirchgänger, denke ich. Ganz gewiss aber Suchende. Meinen Lieblingsort finde ich im Raum der Stille. Drei Ruheplätze mit Canapés und Wandschirmen sind hier eingerichtet. Wie alle Räume im Haus ist auch dieser eine Augenweide: helle, freundliche Farben, warmes Licht, unaufdringliche, geschmackvolle Dekoration. Hier verbringe ich Stunden mit Lesen.

Das Wochenende ist schnell vorüber. Zu schnell, als dass ich behaupten könnte, nun werde alles anders in meinem Alltag. Aber ich habe eine Ahnung davon bekommen, was es heißt, ganzheitlich – mit Körper, Geist und Seele – zu sich zu kommen. Nicht um vor der Welt davonzulaufen, sondern um ihr mit neuer Kraft etwas entgegenzusetzen. Ich glaube, dass es stimmt, was Sören Kierkegaard gesagt hat:

„Der Zustand der Welt ist krank. Wenn ich Arzt wäre und man mich fragte: Was rätst du? Ich würde antworten: Schaffe Schweigen.“