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Wer ist mein Nächster?

Wer ist mein Nächster?

Versteht eigentlich heute noch jeder diese Frage?

Der Evangelist Lukas erzählt, dass sie Jesus gestellt wurde im Zusammenhang mit dem Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben!“

Die Nächste, der Nächste, wer ist das? Das unbekannte Wesen!

Auf Facebook hat man Freunde, auf YouTube, Instagram oder TikTok Follower und die stehen 24/7 zur Verfügung. Also Tag und Nacht, das ganze Jahr. Da lässt das Interesse an den Menschen, die mir etwa zufällig ganz nahekommen, nach: An der Haltestelle vielleicht, oder in der Bahn, im Wartezimmer.

Dort ist der zufällige Plausch aus der Mode gekommen, zumindest in der Stadt – auf dem Land ist das noch etwas anders.

Ich (ein Auslaufmodell) freue mich jedes Mal im Laden, wenn eine Verkäuferin mich berät und wir ins Plaudern kommen. So wie der Kassierer, der mild lächelte, als ich ihm, nachdem er den Grantler vor mir endlich los war, wünschte: „Gute Nerven mit Kunden meines Alters!“ Der Nächste kann auch nerven, so dass man sanft seufzt: „Die Nächste. Bitte!!!“

Unsere menschlichen Kontakte können nun einmal ebenso beglückend wie anstrengend sein.

Vielleicht ist der virtuelle Weg da bequemer. Angeklickt. Weggeklickt!

Nun ist es ja nicht vom Teufel, dass man zahlreiche Kontakte knüpfen kann über das weltweite Netz. Mache ich doch selber Gebrauch davon und freue mich, so mit Freunden wie Bekannten in Kontakt zu bleiben.

Es scheint mir jedoch ein Trend zu sein, dass immer mehr Menschen eher in den über Bande gespielten, den digitalen Kontakten, leben, als den persönlichen.

Das vielleicht etwas angestaubte biblische Wort ‚Nächster‘, im griechischen Originaltext πλησιον, übersetzt die BASISBIBEL mit ,Mitmensch‘. Und das hat wirklich die Bedeutung von Nähe unter Menschen und auch von Nachbarschaft.

Apropos Nachbarschaft:

Sie ist ja der Zufallsgenerator des Zwischenmenschlichen. In sie wird man hineingeboren oder gelangt durch Umzug da hin. Manche Neuen stellen sich brav vor, andere verweigern das simple „Guten Tag“.

Ach, wer könnte nicht Nachbarschaftsgeschichten erzählen. Von Hilfsbereiten und Rücksichtslosen, Aufmerksamen und Wachsamen und auch Denunzianten. „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Das wusste schon Friedrich Schiller in „Wilhelm Tell“.

Dabei sind Nachbarschaften ein gutes Laboratorium, gedeihliches Zusammenleben zu lernen. Ich muss ja meinen Nächsten nicht aus tiefstem Herzen lieben. Aber ich schikaniere ihn nicht! So freue ich mich, dass meine Nachbarin meine schlechte Tageslaune nicht persönlich nimmt und weiß selber, dass deren Probe mit der Kellerband zeitlich begrenzt ist.

Ich bin überzeugt, dass wir in unserer digitalen Zeit ein Übungsfeld für Kommunikation mit den Nächsten brauchen. Jede Bahnfahrt, bei der die Zugbegleiterin flehentlich appelliert, die Taschen von den Sitzplätzen des überfüllten Regionalexpress zu räumen, damit Passagiere einen Sitzplatz finden, bestärkt mich.

Nächste, Mitmenschen, das sind nicht nur Familie und Freunde, es sind die, die uns über den Weg laufen. Zufällig. Ein guter Umgang mit denen verhilft, dass wir menschlich bleiben.

Übrigens: Danke an die nette aus Berlin stammende Übersetzerin, die schon Jahrzehnte in Frankreich wohnt. Wir hatten ein bereicherndes Gespräch im Regionalexpress. Zufällig.