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Warten

Die bunten Blätter sind fast schon alle von den Bäumen gefallen. Jetzt bedecken sie den Rasen des Parks mit einer rot – gelben Decke. Mittendrin sitzt ein Mann alleine an einem der öffentlichen Schachtische. Sein Fahrrad hat er nebendran abgestellt. Er scheint zu warten. Letzte Sonnenstrahlen scheinen auf den Tisch vor ihm mit den aufgestellten Figuren. Vielleicht ist er verabredet und er ist einfach nur zu früh da. Vielleicht hat sein Partner auch den gemeinsamen Termin vergessen. Vielleicht wartet er aber auch einfach nur, bis irgendwer vorbeikommt und sich dazusetzt. Im Sommer hätte er sicherlich schon längst einen Schachpartner gefunden. Doch jetzt sitzt er da und wartet.

Ich schaue ihm kurz dabei zu und denke, dass auch ich das Gefühl kenne, das Gefühl zu warten. Auf eine Verabredung, zu der ich wieder einmal viel zu früh erscheine. Im Wartezimmer des Arztes und das, obwohl ich eigentlich einen Termin hatte. Auf eine Veränderung, die mich herausreißt aus dem Trott, aus meinem Alltag. Und manchmal da scheint es mir, als warte ich auf das Leben selbst, dass es endlich mal so richtig beginnt. Warten kann zermürben und müde machen, aber man kann auch mit Vorfreude warten und die Wartezeit als geschenkte Zeit sehen.

In vier Wochen ist Advent. Advent heißt Ankunft und Christinnen und Christen erwarten die Ankunft Gottes, mitten in der dunklen Jahreszeit. Jedes Jahr wieder neu. Mit Kerzen, Plätzchen und ziemlich viel Betriebsamkeit. Aber auf Gott warten, von Gott etwas erwarten, das möchte ich eigentlich nicht nur im Dezember, sondern heute und morgen. An dunklen und an sonnigen Lebenstagen. Ich möchte die Liebe spüren, die dem Leben Flügel gibt. Ich möchte die Freude empfinden, die sich selbst dem Tod mutig entgegenstellt. Ich möchte das Leben als ein großes Geschenk leben. Und für die Zeit, in der ich von all dem nichts spüre, da würde ich mir gerne etwas von dem gelassenen Warten des Mannes abschauen.

Als ich an ihm vorbei gehe, lächle ich ihm zu und er lächelt freundlich zurück. Er weist auf den Stuhl ihm gegenüber, aber ich kann gar nicht Schach spielen. „Leider nein“, sage ich, „sie finden sicher einen anderen Partner!“ „Sicher“, sagt er, „ich warte nie umsonst“. Und – ich glaube es ihm auch.